| VM Alliot-Marie: So-Hard-Ware
22. Oktober 2002Natürlich sollte man doch eine gewisse Vorsicht walten lassen, wenn ein(e) MinisterIn eines demokratisch verfassten Landes im befreundeten, dazu mächtigen Ausland einen Vortrag hält (Reden ist Bronze, Taten sind Gold). Wenn aber die französische Verteidigungsministerin Michèle Alliot-Marie an der amerikanischen Hochburg der Krieger-Intellektuellen, der “National Defense University”, fünf Seiten Text produziert, sollte
man schon hinlesen:
www.defense.gouv.fr/english/off_declaration/ministre/discours/021017.htm Wenn dem deutschen Volke von Seiten des Kanzlers und des Aussenministers suggeriert werden soll, dass man mit der französischen Regierung ganz einer Meinung sei, und man händeringend
nach Ideen sucht, welche bedeutenden Worte denn ein deutscher Verteidigungsminister den US-”Abenteuerern” kredenzen könnte, wenn er in den USA eine Rede hält, bieten die folgenden Spot-Lights vielleicht Erleuchtung: - Immerhin lautet die Überschrift der am 17. Okt. in Washington gehaltenen Rede:
“Why America and Europe Need Each Other”; - Die Verteidigungsministerin Alliot-Marie deklariert:
“Meine Botschaft an Sie ist sehr einfach: Wir wünschen, mit
Ihnen und allen anderen Mitgliedern der Koalition zur Kooperation fähig zu sein im Kampf gegen den Terrorismus und gegen neue Herausforderungen und Bedrohungen, die aufkommen könnten.”
- “Wir wissen, dass wir nötigenfalls Gewalt anwenden müssen, um auf die verschiedenen Herausforderungen zu antworten, denen alle offenen Gesellschaften gegenüberstehen.”
- “Präsident Chirac ist entschlossen, unsere militärischen Kapazitäten zu verbessern und zu modernisieren.”
- “Wir haben die Absicht, ein verantwortlicher ‘strategic player’ zu bleiben.”
- “Wir determinieren uns selbst, ein verlässlicher Partner für unsere Alliierten zu bleiben.”
- “Wir wünschen, dass unsere Streitkräfte ein leistungsfähiger Partner, zusammen mit ihren Streitkräften, in hoch-intensiven Konflikten bleiben.” - Danach kann Ministerin Alliot-Marie berichten, dass die französischen Verteidigungsausgaben im nächsten Jahr um 7,5% steigen, was zuletzt in den
30-er Jahren des vergangenen Jahrhundert vorgekommen sei;
Und dass die französische Regierung dem Parlament einen Gesetzes-Entwurf zugestellt habe, in dem eine 15 %ige reale Steigerung für die kommende 6-Jahres-Planungs-Periode gefordert wird” (da es sich um ein “overall increase” handelt, wären 2,5 % pro Jahr zu rechnen, also eine Marge, die immerhin auf ein rund 5,5% nominales Plus hinauslaufen würde!). - Der gesamte Rede-Text zeigt eine sehr kluge Handschrift, um
Zustimmung zur französischen Position zu erlangen. Natürlich wird trotz mehrerer Bronze-Sätze verschwiegen, dass Frankreich bisher die NATO geografisch eingeschränkt hat, z.B. hinsichtlich Afghanistan. Der folgende Satz bedarf weiterer Recherche:
“We have to fully take into account the fact that future wars will be fought in coalitions, either within NATO or among European Union member states.”
Einen Bronze-Satz von Frau Alliot-Marie wollen wir nicht unterschlagen:
“Europeans think soft power can make serious contributions.” Wohl wahr, aber das hat die deutsche Regierung bereits zum Patent angemeldet, weil es patent ist. Nur ist noch ein orwell’scher Feinschliff mit 1984-er Körnung angebracht: Streiche Soft Power - setze Smart Power! {Soft-Ware + Hard-Ware = Sohard-ware, spell Smartwhere} Monterrey: verstanden? 26. März 2002Am 21. und 22. März 2002 hat im mexikanischen Monterrey die nicht unwichtige “Conference on Financing for Development” stattgefunden. Im Vorfeld hatten die Amerikaner und die Weltbank mächtig gewirbelt: - Die Bush-Administration hat angekündigt, ihre weltweit als gering angesehene öffentliche Entwicklungshilfe (Official Development
Assistance, ODA) um jährlich 5 Mrd. USD zu steigern;
- Die Weltbank (Wolfensohn) hatte darauf hingewiesen, dass zusätzliche Anstrengungen in Höhe von 40 - 60 Mrd. USD notwendig sind.
Die unter der Ägide der UN veranstaltete Konferenz hatte schon Mitte Januar den endgültigen “Monterrey-Konsens” text-entworfen. Für die Experten der Entwicklungspolitik ist er sicherlich eine Fundgrube. Wir mögen die Frage: “Where is the beef?”
Ausgemacht dazu haben wir die Ziffer 42 des Monterrey-Beschlusses: - “In diesem Zusammenhang fordern wir diejenigen Industrieländer, die des noch nicht getan haben, dazu auf, wie bei der dritten Konferenz der Vereinten Nationen über die am wenigsten entwickelten Länder bekräftigt, konkreten Antrengungen hin zu dem Ziel eines ODA-Werts von 0,7 % des Bruttosozialprodukts (BSP) für die Entwicklungsländer und 0,15 bis 0,20 % des BSP der Industrieländer für die am wenigsten
entwickelten Länder zu unternehmen ...”
Noch schwach erinnern wir uns, dass Staatslenker wie Willy Brandt das 0,7 %-Ziel auch schon gelabelt haben und der Ost-West-Friede die grosse Wende bringen sollte: Umlenkung der irrwitzigen Rüstungsausgaben in die Entwicklungshilfe. Aber: das Gegenteil ist eingetreten, die Entwicklungshilfe ist allgemein, mit Sicherheit in Deutschland, weiter abgesunken. 14 Tage, nach dem UN-General-Sekretär Kofi Annan vor dem Bundestag vorgetragen hatte,
konnte Entwicklungshilfe-Ministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (in Anwesenheit des afghanischen Interim-Präsidenten Karsai) vor dem Deutschen Bundestag am 15. März 2002 stolz verkünden: - “Und ich freue mich ausserordentlich, dass die Europäische Union mit der gemeinsamen Festlegung eines Zeitplans (bis 2006 EU-weit 0,39 % des BSP und für die EU-Mitgliedsländer mindestens 0,33 % des BSP für Entwicklungs-Zusammenarbeit) ein klares Signal an die Entwicklungsländer sendet: Wir
haben verstanden!”
Auf bundesregierung.de (21. 3., “UN-Entwicklungshilfe-Konferenz in Mexico) haben wir gelernt: - “Deutschland steigert dadurch bis 2006 seine jährlichen Ausgaben für Entwicklungshilfe von gegenwärtig 5,8 Mrd. auf 6,8 Mrd. EUR.”
1 Mrd. EUR ist wahrlich kein Pappenstiel, aber der Blick auf Europa ist da schon angesagt: - Nach der letzt-verfügbaren Statistik der OECD (OECD in Figures 2001, oecd.org) deren Daten für die
ODA international gültig ist, liegt die EU 1999 mit 26,756 Mrd. US$ ODA bei 0,32 %. Um bis 2006 die projektierten 0,39 % zu erreichen, dürften so gewaltige Anstrengungen nicht nötig sein, ausser für Griechenland und Italien, die mit ODA-Werten von 0,15 gemeldet werden.
Was immer passieren wird: Es gibt schon Probleme mit dem Wieczorek-Zeul’schen “Wir haben verstanden”-Ausruf: - Erst im Jahr 2008 werden die statistischen Daten der OECD über das Jahr 2006 vorliegen.
- Wird irgend jemand die Monterrey- und EU-Beschlüsse auf Wiedervorlage haben?
- Was wird geschehen, wenn er sie “reklamiert”?
- Wann wird denn das 0,7 %-Ziel erreicht, was wir uns seit Willy Brandt fragen?
- Welcher Statistiker hilft uns, die Forderungen der Weltbank (und die Forderungen aller sonstigen UN-Organisationen) umzurechnen auf das, was die einzelnen Staaten - hier die Bundesrepublik Deutschland - eigentlich leisten
müssten, um mensch-gesteuert die “Welt zu retten”?
- etc.
{Verstehen kann man es - aber nicht glauben} Afrika: UN-Warnung 17. Dezember 2001Etwas unpassend zur Gänsebraten-Zeit in der christlichen
Welt hat die UN-Organisation FAO (Food and Agriculture Org.) ihren Kontinent-Report zur Ernährungslage in Afrika veröffentlicht:
http://www.fao.org/giews/english/eaf/eaftoc.htm :- Somalia:
800.000 Menschen haben Mangel an Ernährung, 300.000 im Süden des Landes sind vom Hungertod bedroht.
- Demkratische Republik Kongo:
In der Region der Grossen Seen leben 2,5 Mio. Menschen in Hungersnot; aufgrund der unsicheren Lage werden sie von humanitären Organisationen nicht erreicht. - Simbabwe:
Hier geht es um 705.000 Menschen in den ländlichen Gebieten, 250.000 in den Städten. - Angola:
Hier geht es um Hilfe für 1,34 Mio. Menschen.
Der Report warnt, das 15 afrikanische Staaten von aussergewöhlichen Mangel-Lagen
bedroht sind. Die Tabelle 8 auf Seite 19 des Report zeigt aber auch interressantes für uns Europäer. Zusagen für Nahrungsmittel-Hilfe (Getreide Tonnen) für 2000/01 oder 2001 haben gegeben: - Die Europäische Union: 315.900 Tonnen;
- Die USA: 903.800 Tonnen.
Am 13. Dezember hat die EU-Kommissionarin Michaele Schreyer den EU-Haushalt für 2002 vorgestellt. Interessant dabei ist: - Die EU-Staaten haben entdeckt, dass Rückzahlungen
“nicht-verbrauchter” Haushaltsbeträge eine lohnende Einnahme-Quelle sind; Hans Eichel konnte dieses Jahr 5 Mrd. DM einstreichen.
- Lt. Angabe von Kommissarin Schreyer liegt der EU-Haushalts-Entwurf “um 4,6 Mrd. EUR unter dem Betrag, der in der Finanzplanung 1999 beschlossen worden war” (die nächste Erneuerung der Finanzplanung findet 2006 (!) statt).
- Der Rat der EU hatte im Sept. 2000 einstimmig den “Eigenmittel-Beschluss über die Finanzierung des
EU-Haushaltes” verabschiedet. Er ist von fünf Mitgliedstaaten immer noch nicht ratifiziert.
- Das 95,7 Mrd. EUR umfassende EU-Budget enthällt 4,8 Mrd. EUR für “aussenpolitische Massnahmen”.
Vielleicht finden sich im EU-Labyrinth ja jene Eiferer, die mit den USA gerne “gleichziehen” möchten. Mit einer Verdreifachung ihrer derzeitigen Zusagen für Getreide-Lieferungen nach Afrika würde die EU dies erreichen; das Geld dürfte angesichts des “Rückzahlungs-Gerangels”
vorhanden sein. Vor allem würden dann endlich die Sonntagsreden über den “erweiterten” Sicherheits-Begriff, Krisen-Prävention usw., “unterfüttert” werden; das ist bitter nötig. {Jeder Traum endet - nur einer nicht} AF-Debatte: Toskana oder ... 12. November 2001Steht Ihre Meinung zum “Afghanistan-Komplex” schon fest? Schon länger? Sind Sie bereit, Ihre Meinung ganz oder in wichtigen Einzelfragen zu ändern, falls jemand “schlagende” Argumente aufbringt? Falls nein, lesen Sie bitte nicht weiter - es wäre rein Zeitverschwendung. “Schlagen” wollen wir Sie auch nicht, aber den Komplex vom Grunde aufwirbeln. Und wir wünschen uns, dass das Ganze ein “Drehbuch” für die Bewältigung des Irrgartens
der Argumente ist. Alles ist bezogen auf Empfehlungen für die Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland: Ihre Meinung ist also nicht unwichtig oder eine beliebige, sondern Sie haben so zu antworten, als wären Sie Bundeskanzler. - Schritt 1:
Sind Sie Pazifist? Wollen Sie nie, unter keinen Umständen, einem oder mehreren Menschen durch Drohung oder gar Anwendung physischer Gewalt ihren Willen aufzwingen? Daran gibt es nichts zu kritisieren. Sie sind nur damit
fast ein Heiliger und werden unter ihren Mitmenschen fast keinen Anhang bzw. Zustimmung finden. Mit dieser Position scheiden Sie praktisch für die Politik aus. - Schritt 2:
Sie bejahen die reine Landesverteidigung. Verlassen Sie bitte dazu nicht nur die NATO, sondern setzten Sie Titel V, die Art. 11 - 28 des Amsterdamer Vertrages der Europäischen Union ausser Kraft, insbesondere Art. 17, Abs. 2; damit befinden Sie sich in guter Gesellschaft mit Dänemark (siehe Protokoll
über die Position Dänemarks von 1997, Teil II, Art. 6). Falls die Bundesrepublik Deutschland danach entweder bedroht oder gar irgendwie angegriffen wird, hoffen Sie auf den Beistand anderer Staaten. Falls Sie von Nachbarn auf ihr sicherheitspolitisches Egomanentum angesprochen werden, antworten Sie am besten, dass Sie Weltpazifist sind und ansonsten keinerlei Bedrohung gegen Deutschland für die nächsten Jahrzehnte erkennen können. Ansonsten ist der Hinweis auf die reichlichen Zahlungen der
Deutschen für den einzig richtigen Weg, die Konfliktprävention, ein unschlagbares Argument. Kurzformel: Zivilmacht Deutschland. - Schritt 3:
Sie haben natürlich ganz richtig erkannt, dass weder Schritt 1 noch 2 zielführend ist. Also benehmen Sie sich ganz normal, sind brav in NATO und EU-Vertrag. Falls eine brenzlige Situation wie jetzt entsteht, hilft nur noch die hohe Kunst der Argumentations-Strategie, deren Muster im übrigen auf jedem Feld anwendbar ist:
Krame in der Vergangenheit: - “Hätte man damals nicht diesen oder jenen Fehler begangen, wäre die Situation überhaupt nicht entstanden!” - Benutzen Sie Trends der letzten Jahrzehnte, die das Ungemach zwingend hervorbringen mussten! Zeige Empathie: - Bedauern Sie zutiefst alle Opfer, vor allem jene, die noch kommen werden. - Vergessen Sie nicht den Hinweis, dass unsere Mittäterschaft uns den Zorn des Gegners auf den Hals holt. Immer Ausrufezeichen, nie Doppelpunkt Hinter jedem ihrer Kernsätze muss der Zuhörer immer ein grosses (wehklagendes)
Ausrufezeichen sehen können. Beklagen Sie die Situation vielfältig und vermeiden Sie bitte Doppelpunkt-Sätze, aus denen Ihre konkrete Handlungsanweisung erkennbar wäre. Bestimme die Zukunft: - Erklären Sie die zukünftige Entwicklung passend nach Ihrer Kern-Meinung - es wird sich übermorgen niemand mit dem Unsinn auseinandersetzen, den Sie vorgestern
verbreitet haben. Finde die Ursache - Wichtig ist, immer einen Hauptschuldigen für die Ursache allen Unglücks dieser Welt zu haben. Wer sich da anbietet, ist doch klar. Nur eine Medaillen-Seite: - Sie haben
immer nur ganz wenig Zeit. Deshalb reicht es völlig, wenn Sie nur die eine Seite der Medaille beschreiben. - Sachlichkeit stört nur bei der Darstellung des Urteils. - Der ganz überwiegende Teil Ihrer Zuhörerschaft hat von dem Thema sowieso keine Ahnung, höchstens ein von wenigen Eckpunkten begründetes (Vor)-Urteil. Mix it, Baby: Ganz wichtig
ist, dass Sie die o. a. fünf Techniken nicht nur einzeln beherrschen, sondern gemixt (nicht gerührt und nicht geschüttelt) anwenden. Dies gilt vor allem dann, wenn Ihnen jemand eine ganz konkrete (und somit unpassende) Frage stellt. Sei smart: Immer chic gedresst, nicht überzogen. Lächeln wie Mona Lisa. Mimik, Modulation der Spreche und Körpersprache!
Aber Vorsicht: Körpersprache lügt in aller Regel nicht - “Kommunikation ist Verhalten / und Verhalten ist Kommunikation. Werde also Schauspieler. Gesamt-Merksatz: “Powert by Emotion” Schritt 4: Wollen Sie sich das Leben schwer machen und die Alternative zu Schritt 3 probieren? Toskana gegen Blut, Schweiss und Tränen? Oder lieber: 1.
Spass haben, 2. die Welt retten und 3. dabei viel Geld verdienen? {Was war noch das Problem?} GB: tricky business 11. Februar 2001Aussen- und Verteidigungsministerium unserer britischen Freunde haben sich einem sehr
lesenswerten “tricky business” unterworfen: In der physischen, technologischen, ökonomischen, sozialen, rechtlichen, politischen und militärischen Dimension den “strategischen Zusammenhang für die Zukunft der Verteidigung” (The Future Strategic Context for Defence) für die nächsten 30 Jahre auf rund 30 Seiten aufzuzeichnen. Erklärtes Ziel: verstärkte öffentliche Diskussion. Wir sitzen derweil ohne Empire im friedfertigen Germany, warten auf das Weissbuch 2001 der Bundesregierung und haben
als Trost, das Top-Gun Dr. Holger Mey seine 2030-Studie als Buch vorbereitet. Wie üblich ein paar Häppchen, die Appetit zum Abladen machen (Zahlen in Klammern = Ziffern des Berichts):
http://www.mod.uk/index.php3?page=2449 - 2050 werden zwei Drittel der Bevölkerung Europas nicht “ökonomisch aktiv”
sein - nicht arbeiten (17).
- 2010 wird Afrika die Führung in der Zahl der AIDS-Fälle an Asien abgeben (19).
- Der Zugang zu amerikanischer (Militär)Technology wird anhaltend wichtig bleiben (30).
- Wir müssen einen grösseren Zusammenhalt in der europäischen Verteidigungs-Forschung und der -Technologie suchen (32).
- Das durchschnittliche Real-Einkommen wird sich bis 2030 verdoppeln (35).
- Mehr Information bedeutet auch, dass diejenigen auf der “falschen Seite”
wissen, was sie vermissen (38).
- Der Druck auf die Verteidigungs-Haushalte hält an. Deshalb müssen seriöse Erwägungen hinsichtlich der Rollen-Teilung und Spezialisierung zwischen den Alliierten stattfinden (39).
- Die Unterstützung der Öffentlichkeit für die Durchführung militärischer Interventionen wird äusserst wichtig (vital) sein. Die Unterstützung wird weitgehend vom Erfolg der Interventionen abhängen (45).
- Eigene Verluste werden für die Öffentliche Meinung nur dann
akzeptabel sein, wenn sie sich proportional zu dem verhalten, was “auf dem Spiel” steht (nationale Interesse, richtig/falsch) (46).
- Internationale Rechts-Vereinbarungen dürfen nicht unbegründete (militärisch)-operationelle Restriktionen zur Folge haben (52).
- Ohne interne Reform wird die Erweiterung der NATO das Potential haben, den Entscheidungs-Prozess innerhalb der Allianz zu verkomplizieren (55).
- Russland ist hinsichtlich seines Platzes in der Welt und der
wahrgenommenen Bedrohungen für seine Sicherheit unsicher (62).
- China schliesst den Einsatz von Gewalt zur Lösung des Taiwan-Konflikts nicht aus (63).
- Bis 2030 ist das Aufkommen einer konventionelle Bedrohung GrossBritanniens nicht wahrscheinlich (64).
- Wir können keine Situation voraussehen, die einen britischen militärischen Beitrag erfordert, der einen grösseren Umfang hat als der während des Golfkrieges geleistete ...
UK spielt eine bedeutende Rolle, um
Missverständnisse zwischen den USA und Europa heruter zu spielen ... Spionage (Intelligence) ... kann präventive Konflikt-(Management)-Massnahmen verbessern (76). - GrossBritannien und Frankreich sind die einzigen europäischen Staaten, die im Gesamtrahmen kriegsführungsfähig sind, aber (nur) für mehr begrenzte Operationen (78).
- Die Ziffern 80 bis 85 müssen von den Analytikern der Rüstungs-Industrie genauestens gelesen werden, damit sie sich für die Zukunft gut positionieren
können.
- Unter der Überschrift “Proliferation of Conventional Weapons” bekommen die Russen (ob Joschka heute in Moskau was sagt?) aber auch die westlichen “Verteidigungs-Verkäufer” deutliche Ermahnungen.
- Unterbelichtet ist das Thema Raketen-Abwehr. Nur in der Auflistung der “Implikationen” der “militärischen Dimension” taucht der Begriff BMD ein einziges Mal verschämt auf.
- Schön ist die Ziffer 100: Es ist höchst unwahrscheinlich, dass irgend jemand auf die (unsere
Worte) “Schnapsidee” kommt, die NATO anzugreifen, aber man kann die Möglichkeit der “Fehlkalkulation” oder Zufall/Unfall/Unglücksfall (“accident”) nicht ausschliessen.
- Zur Krönung der Vernunft die 103: Der Druck auf die Ressourcen (sprich Finanzen) wird wahrscheinlich einen grösseren Nachdruck auf multinationale Ansätze und die Erwägung begrenzter Rollen-Teilung/Spezialisierung plazieren.
Unsere Voraussage für 2030 ist konditioniert: Wenn die europäischen Regierungen auf
dem Gebiet der Verteidigung (Sicherheitspolitik) so ausserordentlich eingefleischt nationalistisch weitermachen ... können sie “weitermachen”. Unsere Voraussage für 2001 bis 2030 ist (hoffentlich irren wir uns): Keine deutsche Regierung (Aussen- und Verteidigungs-Ministerium) wird es je vermögen und/oder wagen, ein deutlicheres 2030-Future auf den Tisch zu legen (wir freuen uns schon auf den Eiertanz des Weissbuches 200?). { ... weitermachen} 37. Münchner Konferenz: Alle können lesen 5. Februar 2001Jedes Jahr ein Mords-Ereignis mit garantiertem Medien-Echo, heuer: XXXVII. Münchner Konferenz für Sicherheitspolitik, 2. bis 4. Febr., Hotel “Bayerischer Hof”, München: -
rund 250 Teilnehmer, davon
- 100 aus den Regierungen der NATO (alle Verteidigungsminister ausser Türkei), EU, beitrittsdrängenden Osteuropäern, aber auch Regierungs-”Sekretäre” aus Singapur, Indien (nicht Pakistan), China und natürlich Russland; - 50 Palarmentarier (starke US-Mannschaft); - 32 Wissenschafler (hauptsächlich NATO-Staaten); - 17 Industrie-Vertreter (nur US und D: dick EADS, Boeing, Lockheed Martin, Northrop Grumman, DRS und Rheinmetall, Diehl, Krauss-Maffei);
- 19 US- und D-Generale; - 12 Ex- Grössen, voran Henry Kissinger und - 17 Top-Medien-Vertreter (CNN, Washington Post, IHT, NYT, Le Monde, ZEIT, El Pais). - Knapp 80 “Beobachter”, vor allem Botschafter, Konsule etc.
- Grob 200 Journalisten, international, in “Kritzel-Batterie” mit Monitoren.
Lehrstunde in “Öffentlicher” Diplomatie, Diplomatie und Nebelwerfen (Reden abladen bei
www.bundesregierung.de):- vor alllem selbst loben, immer ein kräftiges “sowohl als auch” und “wir sind wichtig”;
- dreiste Propaganda und haarscharf an den Tatsachen vorbei;
- Vorlesen von vermeintlich irre ausgefeilten Texten, ellenlange Statements von Altbekanntem etc.
- selten geht’s ungeschminkt und direkt zur Sache und das entschädigt;
-
nicht wenige scheinen eine gewisse Freundlichkeit für Schwäche zu halten und
- den Profis merkt man an, dass sie alles im Hinterkopf haben.
Vor der Konferenz war die Sachlage zu den hauptsächlich diskutierten Themen klar: - Raketen-Abwehr (NMD): Überparteiliche Einigkeit in den USA für die Stationierung, offen ist wann und wie.
- Rüstungs-Kontrolle/Abrüstung: Der ABM-Vertrag und der zum Nuklear-Teststop gehen den Bach runter, Non-Proliferation reicht
nicht.
- EU-Militär (ESDI): Die französischen Ziele von Feira sind von der NATO abgeblockt und die noch offenen Punkte werden unter kanadischer und türkischer Mithilfe noch gebügelt.
- NATO-Erweiterung: Da wird in 2001 in aller NATO-Heimlichkeit erstmal in aller Ruhe ausbaldovert.
Bundeskanzler Gerhard Schröder durfte, durch leichte Krankheit entschuldigt, müde anfangen. Alles schön ausgewogen, und am Schluss mit Spannung erwartet, zu NMD: Zwischen die dreifach
erwähnte “Ermahnung” zur Aufrecht-Erhaltung und Fort-Entwicklung der Rüstungskontrolle und Abrüstung” ist das Trostpflästerchen eingebaut: - “Auch daher liegt uns Europäern sehr daran, mit der neuen amerikanischen Regierung einen intensiven Meinungsaustausch im Rahmen der NATO über das in Aussicht genommene System zur nationalen Raketenabwehr zu führen. Dabei sollten wir nach gemeinsamen Antworten auf die bestehende und auf neue Bedrohungen der Sicherheit suchen.”
Als er in der kurzen Diskussion auf seinen Nebel-Vortrag angesprochen wurde, sprach er die “Hinterköpfe” an nach dem Motto: “Wir wissen doch alle, was hier abläuft”. Anschliessend las der selbst-ernannte Kanzler-Kandidat der CDU/CSU, Friedrich Merz, sein Manuskript vor, nicht entschuldigt durch Unwohlsein. Der ist auch nicht an neuen “Rüstungs-Wettläufen” (Synonym für Ablehnung) interessiert, findet aber auch sehr schöne Wenn- und Windungen für Pro. US-Senator John McCain,
Unterlegener in den Vorwahlen, machte ebenso wie US-Senator Lieberman, unterlegener Vize-Präsidentschafts-Kandidat, die gemeinsame Pro-NMD-Haltung deutlich (weitere Einzelheiten später). Alt-Star Henry Kissinger glänzte sonor wie bekannt; als er von einem Professor jedoch auf das Ende der Theorie (und Praxis) des seit Jahrhunderten von Kissinger statuierten “Gleichgewichts der Mächte” angesprochen wurde, kam der leicht ins Schlingern und das Ober-Seminar war eröffnet. Am Nachmittag kam
US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und blickte beim gekonnten Ablesen seines Statements recht freundlich öfters auf, ob seine Schäfchen denn alle aufmerksam sind; die Message setzen wir als bekannt voraus. In der Diskussion griff er in die rhetorische Trickkiste mit entsprechenden Fragen, was geschähe, wenn die Amerikaner NMD nicht machen. Auf dem Heimweg (Umweg über Spangdahlem) soll er konstatiert haben, dass (mit) den Europäern jetzt doch alles klar sei. ( Nachtrag): Dr. Manfred Bischoff, Vorstands-Vorsitzender der EADS, meldete sich als einziger der Industrie-Vertreter mit der Frage an den US-Verteidigungsminister, wie es denn mit dem Rüstungs-Technologie-Transfer stände (auf dem Gebiet ist es üblich, dass die Amerikaner Watschen kriegen). Rumsfeld war nicht ganz familiär mit den letzten Entwicklungen, z. B. der “Defense Trade Security
Initiative” (DTSI) der USA. Wenn Bischoff allerdings familiar damit gewesen wäre, hätte er den oben sitzenden Aussenminister Fischer fragen müssen. In dessen Amt schlummert die deutsche Antwort auf DTSI vor sich hin - und unsere Erfahrung ist, dass in Deutschland kaum ein Mensch kennt, auch nicht die Top-Gun’s aus der Rüstungsindustrie. Oder wollte Bischoff es sich mit Fischer nicht vermiesen? (Nachtrag Ende
)Aussenminister Josef Fischer schaute beim sauertöpfischen Ablesen seiner 6-Seiten-Rede immerhin einmal auf. Allgemein wurden die USA erstmal richtig gelobt für ihre Politik in den letzten Jahrzehnten; dann Lob EU und “sensible” NATO-Erweiterung. Zu NMD hat er die Sachlage richtig dargestellt und TMD nicht vergessen. Aber dann kam die “Sicht der Bundesregierung” in “drei Kernpunkten”, die man zukünftig immer parat haben sollte: - “Sicherheit und Kohäsion im Atlantischen Bündnis müssen gewahrt und nach Möglichkeit gestärkt werden.
- neue Rüstungswettläufe müssen vermieden und weitere Abrüstungsschritte eingeleitet werden.
- das dichte Vertragsnetz nuklearer Abrüstung und Nichtverbreitung muss erhalten, gestärkt und ausgebaut werden.”
Nun fragen wir uns, ob “eins” die “zwei” + “drei” abschiesst oder die Schalken 2:1 gewinnen. NATO-General-Sekretär Lord Robertson konnte auch
erklären, dass NATO und EU in Sachen EU-Streitkräfte alles im Griff haben. Soweit wir es übersehen, getraute er sich aber nicht, den Satz zu wiederholen, den er am 29. Januar 2001 im “Chatham House”, London, eingestreut hatte: - “Die harte Tatsache ist, dass die Dimension Europäische Verteidigung mit den derzeitigen Militär-Strukturen oder derzeitigen Verteidigungsausgaben nicht zustande kommen wird.”
Das schöne Fact-Sheet der NATO über das ESDI-Thema hätte, falls
es von allen gelesen worden wäre, sowieso einen halben Tag Zeit erspart. (Auf die restlichen Redner des Sa. kommen wir wohl noch zurück) Der 4. Febr. stand ganz im Zeichen: “Die Rolle Russlands in der Weltpolitik”. Sergej Iwanow, Sekretär des Sicherheitsrates der Russischen Förderation, hat mächtig zugeschlagen, eine klassische Propaganda-Rede, nur für den Gebrauch der Presse. Das hat den Ex-US-Verteidigungsminister Cohen allerdings ein wenig genervt und zu der Bitte veranlasst,
der Vorturner möge doch bitte keine “diplomatischen Tänzchen” aufführen. Iwanow’s dickstes Ding: Die NATO hat mit dem Einsatz der DU-Munition ein “ökologisches Disaster vergleichbar zu Tschernobyl” angerichtet; die restliche Cohen-Munition sparen wir uns. ( Nachtrag) Sergej B. Iwanow hat, was das Medien-Echo angeht, das Gefecht vorerst anscheinend
gewonnen: Nicht wenige Zeitungen haben mit seiner “Wettrüsten”-These aufgemacht. Zu Zeiten des Kalten Krieges konnte man damit noch punkten und dicke Bücher schreiben. Nach Ende der UdSSR ist es damit aber aus: Zumindest die Russen (auch sonst ist niemand in Sicht) können das nicht mehr anfangen, denn ihr Brutto-Sozial-Produkt hat ungefähr die Grössen-Ordnung von Belgien. Mit Iwanow’s Vorstellung tauchen aber auch Fragen auf. Haben die Putin-Top’s den richtigen Mann geschickt oder hat der
Liebste nur den falschen Drill mitbekommen? Wir wissen, dass die Russen Top-Leute haben, die mit Charme und Intelligenz vor solch’ einem Publikum locker bestehen können. Und was die russischen Weltuntergangs-Szenarien angeht, haben wir ein gutes Gedächnis. Wie oft hat schon bei irgend einer sicherheitspolitischen Frage-Stellung ein sowjetischer, russischer Top-Offizieller (incl. Präsident) erzählt, dass es bei Nicht-Befolgung Krieg gäbe; danach sind wir schon 10mal tot. Aber “Spass”
beiseite: Es gibt Formen der politischen Ver ...., die unerträglich sind. Herr Brajesch Mishra, Nationaler Sicherheitsberater und oberster Sekretär für den Premier-Minister Indiens, hat es zu dem Thema “Indisch-Russisches Beziehungen” wirklich leicht - alles easy, alles o. k. Auch Erfolgsmeldungen: Beide Staaten haben militärisch-technische Zusammenarbeit seit Jahrzehnten. In den letzten Jahren habe man sich aber von dem Käufer/Verkäufer-Verhältnis zu gemeinsamer Forschung, Entwicklung und
Herstellung von Rüstungsgütern entwickelt. Dass heisst wiederum, dass die Inder noch bessere Geschäfte mit Staaten wie Irak und Iran machen können. Nicht schlecht für Indien - oder? ( Nachtrag Ende)Verteidigungsminister Scharping hatte augenscheinlich auch starke Schwierigkeiten, seine Einlassung “Gesamteuropäische Sicherheit unter Einbeziehung
Russlands” zu verkaufen. Hätte er allerdings das Thema “Abrüstung der riesigen russischen Vorräte taktisch-nuklearer Waffen” angesprochen, wären sicher alle aufgewacht. ( Nachtrag) Aber das Thema lassen wir lieber, denn die Russen brauchen tatsächlich “rundum” etwas für ihre “vorbedachte Eskalation” aufgrund konventioneller Schwäche, wie wir es aus
vergangener NATO-Zeit gut verstehen können. Und “gut amerikanisch” war unser Minister auch deshalb nicht aufgelegt, weil er während seines Moskau-Besuches aus amerikanischer Sicht zu sehr NMD-Schelte betrieben und die Russen nicht nach ihren potentiellen DU-Geschichten in der EX-DDR angesprochen hatte, schon gar nicht den russischen Botschafter zum Rapport einbestellen wollte. (Nachtrag Ende) Am besten hat uns ein sehr kurzer Diskussions-Beitrag eines nicht identifizierten Mitglieds des US House of Representatives zur ESDI-Debatte gefallen, der auch genervt schien: “Wir können lesen (als Grundaussage gemeint! ) ... z. B. auch eure Verteidigungshaushalte ...” {Wir, Ihr, Sie - alle können lesen!} U.S. / EU -Gipfel: Gemeinsame Deklaration zum Rüstungsexport 18. Dezember 2000Während des Gipfel-Treffens des US-Präsidenten Clinton mit dem (derzeitigen) EU-Ratspräsidenten Jaques Chirac und dem Vorsitzenden der EU-Kommission Prodi haben sich die Parteien auf die “Deklaration der Vereinigten Staaten und der Europäischen Union über die Verantwortlichkeit der Staaten und
die Transparenz hinsichtlich des Rüstungs-Exports” geeinigt.
http://usinfo.state.gov/topical/pol/arms/stories/00121808.htm Die wichtigsten Punkte: - Die US-Regierung unterstützt nachdrücklich den EU-Code of Conduct und hat vorgeschlagen, einen “Internationalen Code of Conduct
zu Waffen-Verkäufen” zu erarbeiten.
- Beide Seiten sind sich wohl einig, dass der
erste Punkt in diesem Zusammenhang die Bekräftigung des Rechtes der Staaten ist, sich die Mittel für die Selbst-Verteidigung zu beschaffen, wie sie die UN-Charta vorsieht (Art. 51). Zweiter Punkt ist aber die Bekräftigung der “fundamentalen Wichtigkeit” der Beförderung von Demokratie und der
“Respektierung der Menschenrechte” (Es grünt so grün, ...). Dritter Punkt ist natürlich die Frage, inwieweit Rüstungsexporte zu destabilisierenden Waffen-Anhäufungen, zu regionalen Instabilitäten, bewaffneter Aggression, innerstaatlichen Konflikten, der Weitergaben von ABC-Waffen und entsprechenden Trägermitteln und internationalem Terrorismus führen. EU und USA haben sich entschieden, gemeinsam die Sache
anzupacken. Die “gemeinsamen Prinzipien der Verantwortlichkeit, Transparenz und Begrenzung” enthalten drei Hauptfelder, von denen wir das letzte mit unserem Pitschen-Englisch übersetzen wollen (gemein wie wir sind, warten wir natürlich darauf, ob die deutschen Herrschaften sich bemüssigt fühlen, eine deutsche Übersetzung dieser ohne Zweifel wichtigen Initiative ordentlich zu übersetzen und beim zuständigen AA online zu geben):
Der dritte Punkt lautet: “Beförderung der Transparenz durch
regulär zirkulierende öffentliche Informationen auf nationaler Ebene über genehmigte Waffen-Exporte ...” Kommentar: Eine der wichtigsten Regeln politischer Überlebenskunst lautet: Führe nie aus der ersten
Reihe. Anleitung: Nutze den “Band-Waggon-Effekt”: Springe als Letzter auf den anfahrenden Zug - schmuggel Dich zum Zuglautsprecher vor und verkünde mordsmässig, wo’s lang geht. Wir meinen: Wenn’s nun schon auf einem Weltgipfel verkündet wird, was angesagt ist, müsste sich doch eine deutsche “Leit-Figur” in der Regierung (?) oder der Opposition (!?!?) mit vorauseilendem Gehorsam - sorry - Vorwegnahme finden. Wir sind gespannt, wer es rallt. Und vergeben dann die “Band-Waggon-Medaille” -
zitronenfarben. {Sun Tsu sagt: “Sei geduldig - aber nicht zu sehr”} Rüstungsexport und Entwicklung der Menschenrechte in der Türkei Juni 2000Die im Januar 2000 veröffentlichen “Politische Grundsätze für den
Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern” enthalten als neues Kriterium die Lage der Menschenrechte: “Genehmigungen für Exporte von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern werden grundsätzlich nicht erteilt, wenn hinreichender Verdacht besteht, dass diese zu internen Repression im Sinne des EU-Verhaltenskodex für Waffenausfuhren oder zu sonstigen fortdauernden und systematischen Menschenrechtsverletzungen missbraucht werden. Für diese Frage spielt die Menschenrechtssituation im Empfängerland eine wichtige Rolle.”Der
5. Menschenrechtsbericht der Bundesregierung, veröffentlicht am 28. Juni 2000 ( http://www.auswaertiges-amt.de/www/de/aussenpolitik/menschenrechte/mrinhalteziele/mrb/index_ html) urteilt über die Entwicklung in der Türkei: Türkei “Die Bundesregierung begrüßt die Reformbemühungen der Türkei. Die im Mai 1999 gebildete Regierung Ecevit hat – auf der Grundlage ihrer breiten Parlamentsmehrheit - in einer Reihe von Gesetzesinitiativen ihren Willen belegt, die Menschenrechtslage in der Türkei in wichtigen
Punkten zu verbessern. Sie will vor allem Defizite in der Menschenrechtspraxis beseitigen, die weiterhin zu beklagen sind (vgl. auch Kap. 3, Abschnitt Asyl- und Ausländerrecht).
Asylantragsteller aus der Türkei, vor allem türkische Staatsangehörige kurdischer Herkunft, bilden seit Jahren eine der größten Gruppen von Asylbewerber/innen in Deutschland. Auch unter dem Aspekt der Bekämpfung der Ursachen von Migration ist daher die Verbesserung der Menschenrechtssituation in der Türkei ein wichtiges deutsches Interesse.
Foltervorwürfe werden schwerpunktmäßig in den Gebieten des Südostens der Türkei, in denen immer noch Notstandsrecht gilt, und den Großstädten des
Westens erhoben. In einer Reihe von Fällen sind sie plausibel dokumentiert.
Folter, Misshandlungen und das "Verschwindenlassen" von Personen, deren Verbleib nach Festnahme nicht mehr festgestellt werden kann, werden durch in manchen Fällen immer noch erhebliche Verweilzeiten im Polizeigewahrsam ohne Haftbefehl und ohne Anwaltszugang (Incommunicadohaft) erleichtert.
Die türkische Verfassung garantiert im Prinzip sowohl die Meinungs- als auch die Pressefreiheit, von
der im Lande reger Gebrauch gemacht wird. Allerdings werden linke und kurdenfreundliche Blätter z.T. zensiert und schikaniert. Die Tageszeitung "Ülkede Gündem" musste Ende 1998 schließen. Gegen das Nachfolgeblatt "Özgür Bakis" läuft ein Verfahren, das mit der zeitweiligen Schließung dieser Zeitung, die in der letzten Zeit ungehindert erscheinen konnte, enden könnte.
Dem Erhalt des Einheitsstaats und des Laizismus wird im Konfliktfall weiterhin Vorrang vor
individuellen Freiheitsrechten eingeräumt. Diese werden durch zahlreiche Staatsschutzbestimmungen des türkischen Strafgesetzbuches (tStGB), durch die Notstandsdekrete sowie das Antiterrorgesetz (ATG) eingeschränkt. So stehen nicht nur Handlungen, sondern auch Meinungsäußerungen, die als "Separatismus" oder "Fundamentalismus" gedeutet werden können, unter Strafandrohung. Diese Straftatbestände wurden z.B. auf verschiedene Geschäftsstellen des Menschenrechtsvereins IHD
angewandt, die z.T. vorübergehend geschlossen wurden und deren Mitglieder sich wegen politischer Meinungsäußerungen vor Gericht verantworten müssen. Der IHD-Vorsitzende Akin Birdal,
der wegen einer Rede zum Kurdenproblem eine einjährige Haftstrafe verbüßen sollte, befindet sich seit Mitte September 1999 vorläufig wieder auf freiem Fuß, ist allerdings nicht im Besitz eines Reisedokuments. Die Bundesregierung hatte als EU-Präsidentschaft im Juni 1999 die türkische Regierung aufgefordert, Birdal Haftverschonung aus gesundheitlichen Gründen zu gewähren.
Die Verfassungs- und Gesetzesnovelle zur Besetzung der Staatssicherheitsgerichte war der erste Reformschritt mit
menschenrechtlicher Bedeutung: der bisher als Beisitzer fungierende Militärrichter wurde durch einen zivilen Richter ersetzt. Damit hat die Türkei eine konkrete Vorgabe des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EuGMR) innerstaatlich umgesetzt.
In anderen Fällen – im Zusammenhang mit der Zypern-Frage – weigert sich die Türkei
entgegen ihrer Verpflichtung aus Art. 46 Abs. 1 EMRK, Urteile des EuGMR zu befolgen (Urteile vom 18. Dezember 1996 und 28. Juli 1998 – Fall Loizidou). Die straflose Verletzung bereits jetzt bestehender Vorschriften gegen Folter und Misshandlungen im Polizeigewahrsam, sowie das "Verschwindenlassen" und die Zahl nicht aufgeklärter Todesfälle sollen durch eine Verordnung über den Polizeigewahrsam
eingedämmt werden, die seit Herbst 1998 in Kraft ist. Sie schafft die Voraussetzungen für eindeutige Berichts- und Informationspflichten sowie Zuständigkeiten und erleichtert eine geeignete Beweismittelsicherung. Höhere Verwaltungs- und Polizeidienststellen können unangemeldete Kontrollen durchführen. Maßnahmen und Ermittlungen gegen die Verantwortlichen sind sofort einzuleiten, wodurch die Chancen auf eine effektive
Umsetzung gestiegen sind.
Durch eine Änderung des türkischen Strafgesetzbuches im Sommer 1999 ist das Strafmaß für Folter, Misshandlung durch Staatsbedienstete und das Ausstellen unrichtiger Zeugnisse durch Ärzte oder Apotheker heraufgesetzt worden. Ein neues Gesetz vom Herbst 1999 regelt die Einleitung von Strafverfahren gegen Beamte und Staatsbedienstete neu (Zuständigkeiten, Fristen und Rechtsbehelfe). Geplante Änderungen der Strafprozessordnung sehen vor, den bisher sehr weiten
Ermessenspielraum der Untersuchungsbehörden einzuschränken. Die geplante Einführung von Zeugenschutzmaßnahmen wird hoffentlich ebenfalls einen positiven Beitrag zur faktischen Verbesserung der Menschenrechtslage leisten.
Noch in der innerpolitischen türkischen Diskussion ist dagegen die Frage der Todesstrafe. Auch wenn bereits in den
letzten 15 Jahren keine Todesurteile vollstreckt wurden, so wird erstmals eine Abschaffung grundsätzlich erwogen. Die Bundesregierung hat anlässlich der Verurteilung Abdullah Öcalans durch eine EU-Präsidentschaftserklärung bekräftigt, dass die EU die Todesstrafe - grundsätzlich und unabhängig von der Person des Angeklagten oder der Straftat, derer er überführt wurde - ablehnt. Mit Blick auf eine mögliche Mitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union wird darin weiter betont, dass die
Nichtanwendung der Todesstrafe zu den gemeinsamen Werten und damit zum Acquis der Europäischen Union gehört. Ein Amnestie- und ein Reuegesetz wurden von der türkischen Regierung selbst als dringend geboten angesehen, zumal der Strafvollzug an die Grenzen seiner Funktionsfähigkeit gelangt ist. Das Reuegesetz wurde im Sommer 1999 verabschiedet; danach können PKK-Mitglieder (außer den Führungskadern) Strafermäßigung oder -erlass erlangen, wenn sie sich stellen und mit den
Sicherheitskräften kooperieren. Das ebenfalls vom Parlament verabschiedete Amnestiegesetz wurde dagegen von Staatspräsident Demirel aufgrund einer weithin kritischen öffentlichen Meinung nicht ausgefertigt, was zunehmende demokratische und rechtsstaatliche Sensibilität in einem kritischen Problembereich zeigt.
Zu den wichtigsten Aufgaben der deutschen Auslandsvertretungen in der Türkei gehört die ständige und umfassende Beobachtung und Berichterstattung über die Menschenrechtslage im
Land. Dabei arbeiten sie eng mit zahlreichen türkischen und internationalen Nichtregierungsorganisationen (NROen) zusammen. Nachhaltig kann die Bundesregierung die Verbesserung der Menschenrechtslage in der Türkei am wirksamsten fördern, indem sie sich für eine konkrete Beitrittsperspektive der Türkei zur Europäischen Union einsetzt - was durch den Europäischen Rat in Helsinki geschehen ist. Auf die Türkei als Beitrittskandidatin müssen die Kopenhagener Kriterien von 1993 - wie auf die anderen Beitrittskandidaten - volle Anwendung finden. Diese sehen vor allem die Achtung der Menschenrechte und den Schutz von Minderheiten als Beitrittsbedingung zur Europäischen Union vor.” (Ende des Absatzes über die Türkei). Fazit: Bei zurückhaltender Interpretation müsste man davon ausgehen, dass dieser Text nicht hinreicht, um von “fortdauernden und systematischen Menschenrechtsverletzungen” in der Türkei zu sprechen; dies soll die vergangene und
zukünftige Situation keinesfalls beschönigen. |