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R u s s l a n d

 

 

Russischer Corfu-Entwurf: viiieel (und Nachtrag 7. 12. 09)

1. Dezember 2009

Für die Ankündigung der Idee eines “European Security Treaty” hatte sich der russische Präsident Dmitry Medvedev am 5. Juni 2008 immerhin Berlin ausgesucht. Jetzt liegt der Vertragsentwurf vor:
http://eng.kremlin.ru/text/themes/2009/11/291600_223080.shtml

Wichtig ist, dass die Einladung zur Vertragsteilnahme nicht nur an die Europäer geht, sondern an alle Staaten des euroatlantischen und eurasischen Raumes, “from Vancouver to Vladivostok” (Art. 10):

Wenn der 25. Staat die Ratifikation des auszuhandelden Vertrages beim Depotiseur hinterlegt hat, kann er in Kraft treten.

Heute und morgen wird George Papandreou, griechischer Premier und Aussenminister und derzeit Chairman der OSZE, in Athen die erste Debatte im OSZE-Rahmen leiten; das Stichwort zu dem Gesamt-Thema lautet “Corfu-Process”:
http://www.todayszaman.com/tz-web/detaylar.do?load=detay&link=194157 

Schön an diesem Thema ist, dass die Lehnstuhlfrauen und -männer noch viel Zeit haben, sich damit tiefschürfend auseinander zu setzen.

{Wichtiges braucht viiieel Zeit}

Nachtrag 7. 12. 09:
Die unter dem Direktorat des von uns sehr geschätzten Karl-Heinz Kamp stehende “Research Division” des “NATO Defense College” (in Rom) hat zum Corfu-Prozess ein sog. “Non-Paper” herausgebracht, das bisher nur 50x abgeladen worden ist. Man sollte wirklich mal nachsehen, ob die 79-seitige Arbeit des von Andrew Monaghan über “The Indivisibility of Security: Russia and Euro-Atlantic Security” nicht des Sudoko wert ist:
http://www.ndc.nato.int/research/series.php?icode=2

 

Russland/Ukraine: rasseln

12. August 2009

Ist es gerechtfertigt, eine erste Unwetter-Warnung hinsichtlich der Entwicklung der russischen Ukraine-Politik herauszugeben? Muss Bundeskanzlerin Merkel mit einem gut überlegten Sprechzettel für ihr Treffen mit Präsident Medvedev in Sochi am 14. August zu diesem Thema versorgt werden (blöde Frage)?

Zur Einstimmung sollte man sich 5 min. Zeit nehmen, um das Video anzuschauen, in dem Medvedev begründet, warum er keinen neuen russischen Botschafter in das bruderschaftliche Nachbarland entsenden will und eine Krise in den beiderseitgen Beziehungen feststellt, mit harschen Titulierungen der ukrainischen Regierung:

Danach sollte man sich ausdrucken, welche Kriegsgründe in der Nachrichtenmeldung vom 10. August für den Gesetzentwurf eines Einsatzes russischer Streitkräfte genannt werden (etwas scrollen):

Man muss ja nicht gleich in Ohnmacht fallen, wenn sich die russische Regierung als unser lieber Partner den Werkzeugkasten sauber aufmunitioniert. Um allerdings sprachfähig zu werden, sollte man frühzeitig signalisieren, dass man bei dem Stichwort Ukraine äusserst sensibel ist. Dazu gehört unbedingt, dass man den eigenen Softpower-Werkzeugkasten als gut sortiert herzeigen kann (aus friedlichen Abschreckungszwecken).

Dieses Beispiel kann man u.E. bestens für die Überprüfung des Standes der eigenen Paranoia verwenden:

  • Ahnt man schon den Alptraum der russischen Invasion in den Osten der Ukraine (bevor sie NATO-Mitglied wird)?
     
  • Oder ist man eher der coole Stratege, der Säbelrasseln schlicht als zum Handwerk dazugehörig betrachtet?

{Sun Tsu sagt: “Hoffe, aber bereite Dich trotzdem wenigstens etwas vor”}

 

Russische Strategie 2020: bereiten

15. Mai 2009

Am 13. Mai hat der Präsident Russlands, Dmitry Medvedev, per Gesetz die Nationale Sicherheitsstrategie Russlands in Kraft gesetzt, die bis 2020 gültig sein soll:
http://www.scrf.gov.ru/documents/99.html

Den russischen Text haben wir, mehr aus Jux, bei MS “Live search” ins Englische übersetzt (Google und Yahoo waren nicht zu gebrauchen). Herausgekommen ist u.E eine passable Arbeit; nur bei 3 Ziffern hat die Maschine gestreikt:

Irgendwann wird eine ordentliche deutsche Übersetzung vorliegen und die Schar der Russland-Experten wird uns ihre Studien und wertvolle Bewertungen zum geistigen Genuss bereiten.

Das soll aber niemanden hindern, schon am Wochenende die “Breaking News” zu finden, um sie uns für die Weitergabe an die “Gemeinde” zu mailen!

{Ein wunderbares Wochenende wünschen wir aber ganz bestimmt!}

 

RAND’s Russland: Sonne

2. April 2009

Unsere blinde Anerkennung für RAND-Publikationen darf man voraussetzen. Deshalb empfehlen wir, zumindest bei Oliker, Crane, Schartz und Yusupov reinzuschauen, ob ihre Arbeit über die Russische Aussenpolitik etwas taugt:
http://www.rand.org/pubs/monographs/2009/RAND_MG768.pdf

Die perfekte Internet-Welt wäre, wenn auf irgendeiner Website wenigstens die nationalen Russland-Kenner ihre “Rezension” der RAND-Studie abgeben würden. Weil das aber ein Traum ist, muss man die Arbeit selbst überfliegen.

{Flieger, grüss mir die Sonne ...}

 

Sarkozy’s Frost: man ist

18. November 2008

Wenn man getreu der Devise “Ich bin Deutschland” (oder so) seine Nase in die
http://www.moscowtimes.ru/article/600/42/372390.htm hält, findet man wieder, dass die “Moscow Times” eine Fundgrube ist, und die Politik unseres lieben Nachbar-Präsidenten Nicolas Sarkozy das auch ist.

Es ist ein strategisches Werkzeug, bei Konflikten ein FREEZE einzufordern. Dabei darf man aber wenigstens nicht einseitige Kommentare abgeben, die tief blicken lassen:
“Between now and then, don’t talk about deployment of a missile shield, which does nothing to bring security and complicates things.”

Viel wichtiger bei dem Vorgang ist allerdings, dass Sarkozy die Europäer über seine augenblickliche EU-Ratspräsidentschaft in den Sommer 2009 (Ende 2009?) mitnehmen will:

In einer Konferenz soll die russische Idee einer pan-europäischen Sicherheitsarchitektur begründet werden!

Sorry, seit dem wir sicherheitspolitisch gelebt haben, versuchen die Sowjets/Russen, geostrategisch die Europäer von den Amis abzukoppeln. Nun versucht der Bruni-inspirierte Entertainer, seine in-die-Geschichte-eingehende Selbst-Wahrnehmung als tragfähige Sicherheits-Konzeption für Europa zu verkaufen (ist die Sarkozy-Politik nicht immer als U.S.-schmusi analysiert worden?).

In den kommenden Monaten ist die deutsche aussenpolitische Strategie gefordert:

  • Traditionell “hängt” (vibriert) sie zwischen Frankreich und den U.S.A.;
     
  • Die “Think Tanks” (z.B. SWP) haben genug Zeit, sich zu positionieren;
     
  • Dummerweise fällt das Ganze in den Bundestagswahlkampf.

Nochmals Sorry: In Ermangelung aktueller Themen greifen die Medien gern auf in weiterer Zukunft stattfindenden Quasi-Ereignisse zurück, um aktuelle Sprachlosigkeit zu kaschieren.

{Man ist, wie man ist}

 

14 S. russisch: Quatsch

7. November 2008

Wer die 14 Seiten der Rede des russischen Präsidenten Dmitry Medvedev an das russische Parlament am Wochenende nicht liest, wird nicht bestraft. Über die Medien hat man ja mitbekommen, dass er die U.S.A. wieder ordentlich verhauen hat, und dass “Iskander”-Raketen (SS-26) in der “Enklave” Königsberg als “Antwort” auf die von den U.S.A. beabsichtigte Raketenabwehr-Geschichte stationiert werden sollen:
http://www.kremlin.ru/eng/text/speeches/2008/11/05/2144_type70029type82917type127286_ 208836.shtml

Man hat das ganze Wochenende Zeit, die Medvedev-Auslassungen auf das eigene aussenpolitische Theorie-Gebäude wirken zu lassen (und sich zu fragen, wie man damit wohl umgehen würde - als Underdog, auf Augenhöhe, als Michel, Frau auf dem Stier oder Obama).

Man könnte sich eine neue Strategie des Westens vorstellen:

  • Man anerkennt, dass Partner Russland aufgrund seiner innenpolitischen Lage gar nicht umhinkommt, ein solches Tam-Tam zu veranstalten. Es dient ja dazu, um von der eigenen innenpolitischen Un-Performance abzulenken;
     
  • Militär-Gerassel zieht man genüsslich ins Lächerliche (der nächste Krieg ist “wunderbar”);
     
  • Überleben werden (müssen) nicht Regierungen, sondern Völker (besser Menschen).

Die treffendste Strategie bietet u.E. wieder das “Rheinische Grundgesetz”.; § 7 fragt treffend:

{Wat soll dä Quatsch}

 

Pan-Europäische Sicherheit: Bumm

30. Oktober 2008

Seit dem 5. Juni 08 hat Präsident Dmitri Medvedev mehrfach die russische Idee einer neuen Sicherheitsarchitektur für Europa vorgeschlagen, die Teil des aussenpolitischen Konzepts der Russischen Förderation vom 28. Juni 2008 ist (Wortlaut siehe:
http://www.maximsnews.com/news20080731russiaforeignpolicyconcept10807311601.htm

Dass die am 7./8. August erfolgte, massive Niederschlagung der georgischen Aggression in Süd-Ossetien, die schnelle Abspaltung eigentlich georgischen Territoriums die Lust an der Diskussion des russischen Vorschlags geschmälert hat, ist nicht gerade verwunderlich.

Wir haben bisher nur zwei beachtenswerte Arbeiten gefunden, die sich mit dem russischen Voschlag näher auseinandersetzen:

Wenn es richtig ist, dass der russische Präsident auf der “Münchner Sicherheitskonferenz” im Februar 2009 die Idee bewerben will (Ende 2009 soll in Moskau die entsprechende Gründungskonferenz stattfinden), müssten z.B. die deutschen Russland-Experten bereits an ihren Analysen feilen.

Wenn Italiener, Franzosen und Deutsche schon als Freunde der russischen Idee ausgemacht werden, darf man gespannt sein, wie die grosse Schar der britischen Russlandkenner und die der restlichen “kleinen” Europäer (alt und neu) sich intellektuell positionieren. Wenn nicht alles täuscht, wird das nach dem hergebrachten Muster ablaufen, also vorhersagbar sein.

Schon heute kann man die westlichen versteckten Ziele ausmachen, die eine Unterschrift unter einen entsprechend geschriebenen Moskauer Vertrag rechtfertigen:

  • Noch ein Vertrag, der heiligen Frieden verspricht, kann gar nicht schaden;
     
  • Wahrscheinlich bindet sich die russische Politik mehr, als ihr lieb ist. Der Westen ist gut beraten, der Moskauer Regierung die Hoheit über den Vertragsentwurf nicht allein zu überlassen.
     
  • Entscheidend ist, dass die Tassen operativer Sicherheit im Schrank bleiben.
     
  • Wenn Moskau eine Politik betreiben würde, die tatsächlich Vertrauen statt Machtegomanie generiert, bräuchte man wiederum den Vertrag vielleicht gar nicht.

{1000 und eine Nacht, dann hat es Bumm gemacht}

 

RUS Streitkräfte: Zipfel

9. Oktober 2008

Wer nach dem überwältigen Gegenschlag des russischen Militärs gegen die georigsche Aggression in Süd-Ossetien nach dem 7. August 2008 irgendwelche Probleme mit der Einschätzung der russischen Streitkräfte hat, sollte die blitzsaubere Abrechnung von Margarete Klein, Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), lesen:
http://www.swp-berlin.org/produkte/swp_aktuell_detail.php?id=9620&PHPSESSID=3919a87f2 2dfba0a800367e72cee9f98

Die Autorin zeichnet allerbestens vor, welcher gewaltige Reformbedarf für das russische Militär vorliegt, und man ahnt überzeugt, dass die “Krokodile” der Führung den niemals heben werden.

U.E. ergeben sich zwei Folgerungen:

  • Man muss der “List der Geschichte” doch öfter nachhaltigen Dank zollen, dass sie einige Zeitgenossen mit solcher Blindheit schlägt;
     
  • In seinem seligen deutschen Heim darf man sich diebisch freuen, dass es auf weit absehbare Zeit keine russische, konventionelle Bedrohung geben kann. Und solange Deutschland an eine glaubwürdige nukleare Abschreckungsmacht gekoppelt bleibt, machen die “2076 taktischen Nuklearsprengköpfe” nicht mal zur “Black Mail” etwas her.

{List oder Mantel: Man muss den Zipfel erwischen}

 

Techau’s Rus-Strategie: Reiz

29. September 2008

Jan Techau, Programmleiter beim “Alfred von Oppenheim Zentrum für Europäische Zukunftsfragen”, angegliedert bei der “Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik” (DGAP), ist einer derjenigen, den man als Nachwuchskraft der deutschen sicherheitspolitischen Szene betiteln kann.

In der “Berliner Republik”, dem Forum der Netzwerker-Abteilung der SPD-Bundestagsfraktion, hat er einen Platz für seine Empfehlungen einer “Doppelstrategie für Russland” gefunden:
http://b-republik.de/b-republik.php/cat/8/aid/1388/title/Eine_Doppelstrategie_fuer_Russland/p rint/1

Die Lektüre ist eine Gewinn, weil das Problemfeld sauber und ehrlich abgefahren wird. Der erste Teil von Techau’s Strategie-Empfehlung befasst sich mit russischen “Urängsten” (Einkreisung, Minderwertigkeit etc.), die er als “Fehlwahrnehmung” verortet, und deren “Korrektur” er fordert.

So richtig diese Forderung ist, so unwahrscheinlich ist ihre Umsetzung. Die russische Regierung sitzt an einem unglaublichen langen Hebel, um jegliche “Bewegung” der NATO und der EU propagandistisch in eine Bedrohung umzudeuten. “Mütterchen” Russland ist so gestrickt, dass es jeden Unsinn glaubt, den die Regierung in dieser Hinsicht ganz platt instrumentiert (siehe die Umkehrung von “Die Russen kommen”). Der vorgebliche “äussere” Feind ist schon immer (siehe Aristoteles) für bestimmte Regierungen das probate Mittel gewesen, um von der eigenen Regierungs-Inkompetenz (im Innern) abzulenken.

Gegen diese russische Propaganda-Lawine gibt es eben nicht den westlichen Master-Mind, der die Russen fragt: “Hey, wollen wir uns über militärische “Randale” zwischen uns unterhalten?” Derjenige kann doch nicht von dieser Welt sein! Nur Idioten geilen sich an russischen Bomber-Flügen über Venezuela, russischen Ankerplätzen an Syriens Küste oder Trompeten-Signalen über eine Erhöhung der russischen Verteidigungsausgaben um 25 % auf.

So kommen wir zu unserer montäglichen Empfehlung:

{Den Unsinn darf man nicht allzu sehr ausreizen}

 

Rus-Spekulationen: Atem

4. September 2008

Entschuldigung, wenn wir wieder eine Lese-Empfehlung aussprechen, die wir “realclearworld” verdanken:

Meinungsbildung in dieser globalisierten Welt ist ein richtiges Abenteuer. Wenn man es richtig anstellt, ist es ganz atemberaubend.

{Hast Du einen “langen Atem” (air-breathing)?}

 

EU/GE-Beschluss: trinken

2. September 2008

Nun kann man in Ruhe studieren, wie der 4-seitige Beschluss des Rates der Europäischen Union zur Georgien-Krise zu beurteilen ist:
http://www.ue2008.fr/PFUE/lang/de/accueil

Wenn Ratspräsident Sarkozy mit Kommissions-Präsident Baroso und Solana sich am 8. Sept. nach Moskau begeben, werden 2 Papiere auf dem Tisch liegen:

  1. Das von Sarkozy ausgehandelte und gültige Waffenstillstands-Abkommen;
  2. Der o.a. Ratsbeschluss der EU

Für die Beurteilung ist beizuziehen, was der russische Aussenminister Lavrov Journalisten zu der Problematik der “Buffer Zones” am 27.  August in der tajikischen Hauptstadt Dushanbe erklärt hat:
http://www.civil.ge/eng/article.php?id=19318

Demnach will die russische Regierung in den “Sicherheits-” und Puffer-Zonen zusammen mit internationalen Beobachtern agieren - und nicht abziehen, wie es die Ziff. 4 des EU-Beschlusses fordert (“unverzüglich”, hinter 7.8.).

Rein sachlich ist (wiederholt) festzustellen, dass das Sarkozy’sche Waffenstillstand-Abkommen den Russen in Ziff. 5 für 6 Monate freie Hand für “zusätzliche Sicherheitsmassnahmen” gibt, welche diese wie bekannt sehr massiv ausleben. Der EU-Ratsbeschluss will das mit seiner Ziff. 4 am 8. September in Moskau schlicht zurückrudern. Es ist nicht zu erwarten, dass der EU-Ratspräsident seine Fehler eingesteht. Die Propaganda-Spinner werden schon dafür sorgen, dass über die Ziff. 5 des Waffenstillstand-Abkommens irgend jemand tiefsinnig wird. Warum sollen die Russen Sarkozys Hinterteil retten?

{Mit Russen darf man nicht verhandeln - nur trinken}

 

Medvedev-Kaffeesatz: schau

28. August 2008

Wenn der Kalte Krieg schon zurückgekommen sein soll (ist zwar falsch), dann muss man auch zur Kaffeesatz-Deuterei zurückfinden, die damals höchste Kunst war. Lesen muss man also die Begründung des russischen Premiers Dmitry Medvedev, warum er die “Breakaway regions” anerkannt hat:
http://www.ft.com/cms/s/0/9c7ad792-7395-11dd-8a66-0000779fd18c.html

Sind unter den Sommersprossen auch einige Gesichtspunkte?:

  • Hätte ein Premier Putin sich auch bemüssigt gefühlt, sich überhaupt international zu verteidigen, und vor allem so?
     
  • Muss dem Entwurfs-Schreiber des FT-Artikels nicht hohe Anerkennung gezollt werden, dass er so gekonnt auf die westliche “Seele” gezielt hat?
     
  • Vermieden wird jegliche Breitband-Ideologie, der Georgien-Fall wird singularisiert.
     
  • Wer die sachliche Bodenhaftung nicht verlieren will, wird nicht bestreiten, dass der Fall Kosovo sehr wohl ein “systematisches” Problem darstellt, genau wie Tschetschenien. In solchen Fällen hilft nur der Gefrierschrank und das Prinzip Hoffnung, niemals die Anwendung von Gewalt, eher die Sorge und Hilfe für die Opfer der Gewaltprediger.

Es ist ein müssiges, aber lohnendes Geschäft, aus der Propaganda die Wahrheit zu destillieren (Prost).

Würde man sich der Mühe unterziehen, die Propaganda des georgischen Premiers zu analysieren, dürfte man u.E. allerdings schnell den Vergiftungstod sterben. Alles, was unsereins von ihm gelesen hat, ist nur drogig. Wer ihn nicht richtig an die Kandarre legt, ist selbst schuld (Haarprobe).

Die Medvedev-Botschaft von der Singularität des Falles Georgiens ist hoffnungsvoll, trotz aller böser Einzelheiten. Der Rubikon ist noch nicht überschritten.

{Humphrey sagt: “Schau mir in die Augen, Kleines”}

 

Rus-Strategie: Doping

27. August 2008

Nachdem der russische Präsident Medvedev gestern die Unabhängigkeit Abchasiens und Süd-Ossetiens dekretiert hat, ist eine neue, eigentlich unerwartete Lage eingetreten:

  • Unabhängig von der generellen völkerrechtlichen Problematik hat der russische Präsident damit ganz konkret die Ziff. 6 des von ihm vor rund 2 Wochen unterschriebenen Waffenstillstands-Abkommen umgangen. Zusammen mit den anderen Verletzungen des mit dem französischen Staatspräsidenten ausgehandelten Vertrages ergibt sich eine Geringschätzung der Europäischen Union, die als beachtlich einzustufen ist.

Wenn es der Europäischen Union auf ihrer Sitzung am 1. Sept. nicht gelingt, eine wirksame Strategie zu entwerfen, droht ihr nachhaltiger Glaubwürdigkeitsverlust:

  • Tritt die EU ohne U.S.-Backup an, ist das Scheitern vorprogrammiert. Dies ist kein ‘Schönheitswettbewerb, bei dem die blendenden Europäer sich wieder den Sieg gegen die hässlichen und blöden Amerikaner ausrechnen können. Ohne diesen strategischen Ansatz kann man das “transatlantische” Mantra verbrennen.
     
  • Die “Abschreckungs”-Philosophie aus dem Kalten Krieg darf man - allerdings wohlverstanden - getrost übernehmen: Welche Massnahme wird im Kopf des “Gegners” eine Verhaltenskorrektur auslösen? (ist ganz altes Rezept).

    Es erfordert eine intime Kenntnis des jetzigen russischen Systems, genau diese Weichpunkte zu lokalisieren. Hätte man eine Kartei zur Hand, die die Adressen der kompetenten Russlandkenner enthält, wäre es ein leichtes, in wenigen Tagen deren Empfehlungen zur Hand zu haben.

    Die entsprechende Kompetenz der Regierungsbürokratie darf man nicht unterschätzen. Würde man bis auf die Sachbearbeiter-Ebene blitzabfragen, welche Trümpfe auf der eigenen Seite liegen, hätte man sicherlich genügend Werkzeuge für das tit for tat.
     
  • Von den Verrückten links und rechts des Wegesrands darf man sich gar nicht beeindrucken lassen. Die russische Herausforderung verlangt nur Grips. Ohne Haaranalyse wird keiner in den Saal gelassen.

{Ganz neue Studie: Doping in Politics}

 

GE-Krieg: Nabelschau

25. August 2008

Wenn sich der Dunst der politischen und medialen Kartätschen-Nebel über Georgien langsam legt, mag unsereins den Nabel betrachten, nur das eigene Nest beschmutzen:

  • Bei dem Hin und Zurück auf der Zeitachse der georgischen Geschichte und Geschichten steht man vor der Schwierigkeit, den georgischen Einmarsch in Süd-Ossetien zu beurteilen. Einig sind sich wohl alle Beobachter, dass der so (sorry) ärschlings war wie nur irgend etwas.

    Welche Rolle aber spielt er in der Beurteilung? Die überwiegende Kommentierung in der westlichen Welt war recht nachsichtig. Kann man dagegen argumentieren, dass genau in diesem Punkt der “casus cnactus” zu suchen ist - und alles andere der “Lauf der Dinge” war? Man kann - wenn man so will, aber auch protzig anders.

    Übel wird folgende Denkhilfe: Wären die Russen einmarschiert ohne die georgische “Steilvorlage”?
     
  • Was der im Beauty-Contest eilfertig “erfolgreiche” Nicolas Sarkozy als Waffenstillstand ausgehandelt hat, war dem Inhalt nach relativ bald bekannt. Medien und Politik haben das auf eine Weise ignoriert, die schon an perfekte Selbsteinlullungs-Propaganda erinnert. Verschämt schimmerte Art. 5 dieses Übereinkommens hier und da auf, nie als “breaking news”. Jeder Normalsterbliche hätte kommentiert, dass “die Russen” einen Freifahrtschein haben, der sonder Güte ist (er gilt 6 Monate!, siehe das westliche Zurückgerudere im U.N.-Sichrheitsrat).

    Eine Fotrsetzung im Detail findet in der “Abzugsdebatte” statt. Man muss schon hinter dem Brief her sein, den Sarkozy an Shaakashvilli geschrieben hat:
    Sarkozy hat mit Mevedev vereinbart, dass die Russen den süd-ossetischen Landesgrenzen einen 10 km breiten Streifen vorschieben dürfen, der als Buffer-Zone gilt. Nun darf jeder seine Sherpas losjagen, das Kartenmaterial zu besorgen, um IST und SOLL zu vergleichen, wann auch immer.
     
  • Georgiens Präsident Saakashvili erlaubt derweil Einsichten in seine Denke. Am vergagenen Freitag hat er den (in Eigenpropaganda) eingehüllten Satz geprägt:
    “I myself could not imagine that such a large-scale incursion would have occured”:
    http://www.civil.ge/eng/article.php?id=19267

Wenn man vor Kraft kaum laufen könnte, würde man seinen eigenen Leuten gern empfehlen, doch bittschön wenigstens die Kirche im Dorf zu lassen; im Zweifelsfall kann man sich selber ver********* (mit den “Öl”-Geschichten, “Cold War”, imperial etc.).

{Aufschrei: “Für wie blöd haltet ihr mich ‘eigentlich’?”}

 

GE-Kriegschronologie: 5 W’s

22. August 2008

Zur Aufhellung der Einzelheiten des Kriegsbeginns zwischen Georgien und Russland sollte man sich - natürlich mit ausgefahrenen Stacheln gegen Propaganda - anschauen, was das Georgische Aussenministerium auf seiner Internet-Adresse dazu bietet.

Unsereins hat sich die Presse-Informationen angeschaut, die um den Zeitbeginn des Krieges liegen:
http://embassy.mfa.gov.ge/index.php?sec_id=461&lang_id=ENG&limit=60

Selbsterklärend sind drei Positionen:

  • Die Presse-Information am 7. August, 22.01 Uhr:

    Einer hochrangigen EU-Delegation erklärt der stellvertretende georgische Aussenminister Vashadze, dass die Situation in Ossetien “extrem gespannt” etc. sei, aber:
    “However, the Georgian side continues to obstain from taking any kind of military action and does not plan any military offensive or defensive operation.”
     
  • Danach muss man sich das “Fact Sheet Russian Aggresion” ausdrucken, welches am 9. August um 17.31 Uhr eingerückt wurde und generell einen Wert hat. Es umfasst den Zeitraum des 8. und 9. August, ist von unten aufwärts zu lesen und enthällt 44 Ziffern.

    Gemäss den Ziffern 44, 43 und 40 (8. August, 2.45 Uhr, 4.28 Uhr, 9.00 Uhr) übernehmen georgische Truppen die Kontrolle (“occupying”) in den genannten Städten Südossetiens. Für 5.30 Uhr wird der russische Einmarsch gemeldet (Ziff. 42).
     
  • Die Presse-Info vom 8. August, 15.41 Uhr, zeigt (wann war das genau?):

    Der stellvertretende Aussenminister Vashadze informiert U.S.-Botschafter John Teft, dass die georgischen Behörden
    decisive measures for the protection of Georgian villages and peaceful population”
    unternommen haben.

Festzuhalten bleibt, dass der stellvertretende Aussenminister Vashadze am 7. August der EU-Delegation zu einem Zeitpunkt, an dem die georgischen Soldaten gerade ihre Kasernen in Richtung Südossetien verlassen haben müssen, dreist die militärische Inaktivität vorschwindelt (wahrscheinlich wird er aussagen, er habe davon nichts gewußt).

Irgendwann müssen die Georgier selbst untersuchen, wer zum Kreis der Verantwortlichen für den georgischen Marschbefehl gehörte, und die bekannten 5 W’s (Wer, wann, wie...).

{Opfern wird man antworten müssen}

 

CRS/Georgien: tell

20. August 2008

Der wissenschaftliche Dienst des U.S.-Parlaments (Congressional Research Service, CRS) hat seinen guten Namen wieder einmal gerechtfertigt. Jim Nicol hat auf 20 Seiten das Thema “Russia-Georgia Conflict in South Ossetia: Context and Implications for U.S. Interest” ganz sauber abgehandelt:
http://www.fas.org/blog/secrecy/2008/08/russia-georgia_conflict.html
(und lieber Gruss an den unermüdlichen Steven Aftergood der guten FAS, der uns immer mit den CRS-Reports so gut versorgt).

Wenn man noch mehr wissen will, lädt man sich sich die 2 weiteren angebotenen CRS-Studien zum Thema gleich mit ab.

Unsereins wünscht sich jetzt nur noch eine Mikro-Analyse der Ereignisse in Süd-Ossetien nach dem 6./7. August bis zur russischen Invasion, und dankt für dementsprechende Hinweise.

{Time will tell}

 

Medvedev-Doktrin: Leute

19. August 2008

Man wird die verschiedenen Vorwürfe gegen den Westen, die von russischer Seite erhoben werden, Stück für Stück abarbeiten müssen, um sich selbst Klarheit zu verschaffen hinsichtlich der eigenen Strategie. Blödsinnig sind alle Argumente, die militärischen Ursprungs sind (NATO-Einkreisung, Raketenabwehr etc.). Wenn man jedem Staat, der nur über eine einzige Nuklearwaffe verfügt, eine Nicht-Angriffsposition gegenüber den U.S.A. attestiert, muss das wohl für Russland allemal gelten.

Hochhalten sollte man den (nicht nur) aus Gorbatschow’s Zeiten eingestandenen Grundsatz, dass jeder Staat das Recht hat, seine sicherheitspolitische Bindung souverän und frei zu wählen (völkerrechtlich dürfte das ganz unbestritten sein).

Ganz schwierig ist das Problem “Territoriale Integrität vs. >2/3 abtrünnige Minderheiten”; hier darf man kapitulieren. Man könnte natürlich auch ganz cool vorschlagen: Volksabstimmung, 2/3-Mehrheit gewinnt - Peng aus - dankeschön).

Vielleicht bleibt nach Durchsicht ein einziger, “ideologischer” Eckpunkt russischer Politik übrig, der des ruhigen Nachdenkens bedarf: Präsident Medvedev äussert sehr klar, dass jeder “zerquetscht” wird, der russische Staatsbürger bedroht. Wenn die Zahl zirkuliert, dass 25 Millionen russische Staatsbürger (von rund 150 Mio. im territorialen Russland) in den umliegenden Staaten residieren, hat man wahrscheinlich ein sehr originäres Problem (man weiss, dass jeder Staat sich das Recht nimmt, seine eigenen Staatsbürger bei deren Gefährdung von Leib und Leben aus ansonsten nach dem Souveränitätsprinzip geschützen Staaten “rauszupauken”).

Der Medvedev’schen “Zerquetschungs”-Doktrin kann man westlicherseits ganz elegant antworten: Die westliche Politik gegenüber den RUS-Anrainer-Staaten wird erst-priorisiert in Hinsicht auf deren Politik gegenüber ethnischen Minderheiten (hier: Russen); wir schützen diese lieben (armen) Millionen Leute (und wenn es nur Einer wäre).

{Typen wie Saakashvili verstehen das gar nicht}

 

Club-Regeln: trivial

18. August 2008

Man muss schon etwas diszipliniert sein, wenn es eine “ebenen”-gerechte Diskussion geben soll: Heute geht es nur um die eigene, westliche Strategie in Sachen Europa- und Nato-Erweiterung, andere würden sagen U.S.-Imperialismus, Machtpolitik, Öl oder sonstwas.

Gibt es Vorbedingungen für die westliche Strategie in Sachen “Weltordnungspolitik”, die unbedingt erfüllt werden müssen? Wer darf eintreten in den Club der “Guten”? (Die Situation ist relativ entspannt: Wir sind nicht im 2. Weltkrieg, wo man sich mit Teufelchen Stalin verbünden muss).

Es ist zu trivial: In einen ordentlichen Club werden nur Leute aufgenommen, die sich dem Ratschlag der Honoratioren nicht beratungsresistent verweigern; auf drastisch deutsch: Verrückte bleiben draussen.

Man kann die Möglichkeit nie ganz ausschliessen, dass bestimmte Clubmitglieder in Grenzfällen die Neigung zum Durchknall entwickeln. Für diesen Fall muss man einen Werkzeugkasten parat haben, der eindrucksvoll genug ist. Noch wichtiger: Schon vor Eintritt eines denkbaren Knalls muss der Inhalt des Werkzeugkastens seine fulminante Abschreckungswirkung entfalten (weil er richtig wirksam wäre).

Auf den konkreten Fall des georgischen Ministerpräsidenten angewandt heisst das:

  • Haben die hohen Repräsentanten der U.S.- und der EU-Politik ihm eindringlich deutlich gemacht, dass sie eine “abenteuerliche” georgische Politik nicht unterstützen (und bestrafen) werden?
     
  • Welches “Psychogramm” hatte die westliche Politik von ihrem georgischen Freund? War er als “Hitzkopf” eingestuft?
     
  • Hat jemand bei allen amerikanischen und europäischen und deutschen Solidaritäts-Adressen einen Appell an den Hitzkopf registriert (die Ermahnung in geschlossenen Räumen reicht nicht!)?
     
  • Wer rudert in der Ukraine, Polen oder im Baltikum gegen die alten Russland-Hasser, die Tassen im Dorfe zu lassen? Wie stark ist die Heizer-Kolonne, die im Idelologie-Rausch nebenbei noch mehr Leben veraschen will? Es muss ein besonders vergnügliches Ableben sein, für Schaschlikwilli zu verenden (?).
     
  • Darf ein “Westler” die Kontrolle in seinem eigenen “Haus” verlieren?

Es gibt genügend Gründe, sich über die russische Politik zu ereifern. Wenn man aber nicht ausreichend vor der eigenen Türe gekehrt hat, ist das nur blöd.

{Sun Tsu sagt: “Kehre zu allererst vor der eigenen Tür”}
(P.S.: Ja, wir haben (in unserer eingeschränkten Wahrnehmungsfähigkeit) Richard Holbrooke auf CNN wahrgenommen, der, während des georgischen Einmarsches, Herrn Saakashwilli irgendwo im Urlaub völlig unschuldig wähnte).

 

Sarcozys Blamage: Bohlen

15. August 2008

Diplomatie ist per se´schon eine Geheimwissenschaft, französische sowieso. Deshalb kann irgendein Dahergelaufener irgendwelche Diplo-Vorgänge schon gar nicht beurteilen.

Entschuldigung, wenn wir ganz dumm fantasieren:

  • Nicolas Sarcozy hat blitzschnell geschaltet und als Erster den Flug nach Moskau gebucht: Fein (alertes Bürschchen, Anerkennung), keine Frage;
     
  • Dann hätte bei Nicolas der Grips greifen müssen:

    - Als erstes posaune ich aber dick, dass ich nicht nur als französischer, sondern auch als EU-Rats-Präsident hier bin;

    - ausserdem stehe ich mit der U.S.-Regierung in permanentem Austausch (demonstriert durch autonomen, Krypto-Comm-Koffer). Mit diesem Back-up gehe ich in die Verhandlungen. Meinen mit den U.S.A. abgestimmten Entwurf habe ich dabei (und kommuniziere das beiläufig);

    - wenn mein ach so starker Medvedev mit unanständigen Vorschlägen aufwartet, werde ich sehr deutlich machen, dass ich ein Scheitern meiner Mission durchaus aushalten kann (bin doch kein Glamour-Girl, unterschreibe doch keinen Pussy-Vertrag).

Ja, so ungefähr fantasieren Hinterwäldler wohl über Diplomatie. Die Diplo-Profis werden aber aus dem Fenster posaunen, welch ein grandioser Erfolg der französischen und europäischen Diplomatie wieder einmal gelungen ist (in Hintergrund-Gesprächen jaulen sie natürlich).

Man darf in die Annalen der so gern hergebeteten transatlantsichen Gemeinschaft erneut eine Kerbe ritzen: nochmal tot; hoch lebe der Beauty-contest nach Bruni-Art.

{Neu bei RTL: Bohlen castet Nico}

 

Kaukasus-Krieg III: Treu’

14. August 2008

Man verfolgt den Kaukasus-Krieg den ganzen Tag und erregt sich fürchterlich, dass diese Russen augenscheinlich den von EU-Präsident Nicolas Sarkozy und Präsident D.A. Medvedev ausgehandelten Waffenstillstand nicht einhalten.

Dann hat man nach langem Suchen wieder Glück und findet den Text bei der “New York Times”:
http://www.nytimes.com/pages/world/index.html (siehe letzte Zeile, “Text of Peace Accord (pdf)” unter dem Artikel “Bush sends Aid to Georgia as Russians Occupy a City”).

Und wenn man dann die Ziffer 5 liest, ist man vom Donner gerührt und geschüttelt:

  • “Russian military forces must withdraw to the lines prior to the start of hostilities.
    While awaiting an international mechanism, Russian peacekeeping forces will implement additional security measures (six month).”

Das kann doch nicht wahr sein! Hat sonst noch jemand eine Text-Version, mit der man das verifizieren könnte? Wenn man davon ausgeht, dass die NYT kein Fake anbietet (das tun wir), dann sind die Konsequenzen ganz erheblich:

  • Was ist das für ein Staatspräsident, EU-Ratspräsident, der einen solchen Freifahrtschein unterzeichnet? Ist das ESVP state of the art?
     
  • Weiss die johlende Anhängerschar des protzigen Herrn Saakashvili, was ihr Idol da unterschrieben hat?
     
  • Hat der U.S.-Präsident gestern tatsächlich die Russen aufgefordert, sich an ihr gegebenes Wort zu halten?
     
  • Die russische Regierung geniesst für die nächsten 6 Monate wirklich unser vollstes Vertrauen. Sie hält sich werkgetreu an den Waffenstillstandsvertrag und setzt nur die “zusätzlichen Sicherheitsmassnahmen” um, die ihr so bereitwillig eingeräumt worden sind.

Sorry, erklären Sie uns ruhig für durchgeknallt o.ä., aber wenn dieser Satz tatsächlich in dem Sarkozy/Medvedev-Abkommen steht, dann gehört dieses Polit-Spektakel zu den irresten Inszenierungen, welche jemals für die weltweite Ver******* geschrieben worden ist.

{Üb’ immer Treu’ und rede nicht}

 

Kaukasus-Krieg II: YESS

12. August 2008

Der Info-Tsunami in Sachen Kaukasus-Krieg baut sich langsam auf. Hilfreich dagegen ist z.B. das von uns immer wieder gelobte “International Relations and Security Network” (ISN). Deren “ISN Special Newsletter: Conflict in South Ossetia” ist gestern gegen 22 Uhr bei uns als mail eingegangen. Auf 2 Seiten werden Links zum Thema angeboten, die Referenzstatus haben. Wahrscheinlich wird der ISN-Letter heute irgendwann hier zu finden sein:
http://www.isn.ethz.ch:80/

Wer den georgischen Präsidenten Mikheil Saakashvili via CNN schon non-verbal entcodieren konnte, muss nur noch seinen Artikel im “Wallstreet Journal” lesen, http://online.wsj.com/article/SB121841306186328421.html?mod=opinion_main_commentaries um zu wissen, ob er mit dem in den Krieg ziehen will oder besser nicht.

Richtig erfrischend ist, was WELT Online via Alan Posener zu bieten hat:
http://debatte.welt.de/kommentare/84081/dieser+krieg+ist+nicht+russlands+krieg
(das englische Original ist hier zu finden:
http://www.rferl.org:80/content/South_Ossetia_Crisis_Could_Be_Russian_Chance_To_Defeat_ Siloviki/1189525.html ).

Oberverdachtschöpfer und Verschwörungstheoretiker werden natürlich sofort erhebliche Bedenken anmelden. Aber unsereins hat eines von Julia Latynina gelernt:
Der Begriff, der für “die Herrschaft der Teile der politischen Elite Russlands, die dem Geheimdienst nahestehen”, lautet SILOWIKI (uns hat dieses Phänomen schon zweimal berührt, ohne den Begriff zu kennen; würden wir sofort als politikwissenschaftliche Studienarbeit ausloben).

Von Jonathan Eyal am “Royal United Services Institute” (RUSI) muss es eine Arbeit geben, die auf www.rusi.org noch nicht zu finden war: 25 Mio. Russen leben ausserhalb der Landesgrenzen; die laut Präsident Medwedjew alle zu schützen sind.

Die Krönung der Nacht (03.17) war die Teilnahme an der “Quickvote”, die CNN gerade veranstaltet:

  • Sind “Russias actions in Georgia justified”?

    - “Yes, it’s peacekeeping”: 69 % (neunundsechszig)!
    - No, it’s an invasion: 31 %” (insg. 36.313 Votes)
    (welch ein Glück, dass das keine “wissenschaftliche” Umfrage ist).

{YESS: Quickpeace}

 

Kaukasus-Krieg: gestylt

11. August 2008

Was darf man denn meinen, nachdem man die Nachrichten vom russischen Einmarsch in das formell wahrscheinlich zum Territorium Georgiens gehörende Süd-Ossetien verfolgt? Liest man zunächst die Vorgeschichten des Konflikts, verkompliziert sich die Urteilsbildung natürlich.

Gibt es Prinzipien, Kriterien o.ä., die eine klare Zuordnung erlauben? Gibt es nicht-militärische Strategien für die Einhegung solcher Konflikte über die “platte” Weisung hinaus, nur nicht zu schiessen? Wie ist das bisherige Handeln der entscheidenden Akteure zu beurteilen? Welche Auswirkungen wird das auf die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik haben?

Die Durchsicht der Berichterstattung der Medien ergibt für uns:

  • Der seit 2004 amtierende georgische Präsident Mikheil Saakashvili ist augenscheinlich kein Typ, der die Problematik des Einsatzes militärischer Macht wirklich überblickt. Ist ihm durch die westliche Politik (U.S.A, EU) nachdrücklich deutlich gemacht worden, dass die Anwendung massiver militärischer Gewalt hier ausschliesslich kontraproduktiv ist?
     
  • Ob der Hinweis der russischen Regierung auf den “First Strike” der georgischen Seite letztlich dominant bleibt, ist nicht zu erwarten. Die Vermutungen über die sehr zahlreichenden Gründe, warum die russische Regierung so entschieden hat, sind erdrückend negativ. Je näher eine Bevölkerung den Grenzen Russlands liegt, desto alarmistischer wird das Urteil ausfallen; die Konsequenzen sind bitter.
     
  • Im Werkzeugkasten der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitk gibt es augenscheinlich keine (Software)-Zange, die auf die sehr unterschiedlichen Schraubenweiten passt. Dieses Eingeständnis wäre schon katastrophal (der polnische Aussenminister Sikorski soll einen EU-Friedenseinsatz vorgeschlagen haben!).
     
  • Die zivilen und militärischen Opfer auf allen Seiten des Konflikts sind bitter genug. Nur die russische Regierung wird heute und morgen darüber entscheiden, wie dieser Krieg wirklich zu beurteilen ist. Je geringer die Mässigung ist, desto folgenschwerer wird dieser Krieg sein (trotzdem schläft man ruhig).

{Irdische Macht ist nur gestylte Dominanz}

 

Russland 2017: Clancy

20. Februar 2008

Wir hatten schon fast aufgegeben, ein ordentliches Thema zu finden, aber dann hat uns der Rückgriff auf eine Empfehlung eines lieben Netzwerkers die Nacht gerettet.

Schon x-mal haben wir aus dem “Weißbuch 2006” diesen “Bronzesatz” zitiert (S. 61):

  • Sicherheit, Stabilität, Integration und Wohlstand in Europa sind deshalb ohne Russland nicht zu gewährleisten.”

Folglich müsste sich eine grosse Schar von Interessenten finden, die sich auf unsere heutige Empfehlung stürzen:
http://www.csis.org/media/csis/pubs/071214-russia_2017-web.pdf

Auf 71 Seiten handeln 6 Autoren ein Feuerwerk faktenbasierter Einschätzungen ab, die jeden Operateur der deutsch-russischen Beziehungen einerseits beglücken, andererseits zur Verzweifelung treiben müssten. Normalverbrauchern kann man versprechen, dass sie Aussenpolitik im “Tom Clancy”-Stil erleben. Wer solche Lektüre konsumiert, wird bei den üblichen deutschen Medienberichten über russische Politik weit über das Schmunzeln hinauskommen (ausgenommen das tolle Putin-Portrait, das wir vor gut einer Woche auf ARD/NDR(?) genossen haben).

Dazu möchten wir noch ein persönliches “Dönekes” beitragen: Vor Wochen stand unsereins als Raucher vor dem Haus einer Parteien-Stiftung. Der ebenfalls smokende, junge Russland-Experte meinte, dass ihn einzig die Ticker-Nachricht aus Russland beunruhigt hätte, dass die (unterschiedlichen) Fraktionen der russischen Geheimdienste sich “bis aufs Messer” bekriegen wollen.

Liest man unter diesem Eindruck die spannende CSIS-Studie, schwelt der Gedanke weiter, wie bei DITTSCHE.

{Bei Schwelbränden darf man nicht nachlegen!}

 

BAKS-Forum: Radio

25. Januar 2008, Berlin

Obwohl der erste Teil des Forums der “Bundesakademie für Sicherheitspolitik” ( www.baks.org ) zum Thema Russland etwas enttäuschend ausfiel, hat sich in unserem Kopf aufgrund der Debatte die Beurteilung des Themas noch deutlicher geklärt:

  • Ohne gehörige Zurkenntnisnahme der russischen Meinungslage liegt man garantiert falsch;
     
  • Das “System Putin” ist deshalb so erfolgreich, weil es die “russische Seele” so treffend bedient;
     
  • Weil es immer noch genügend Anhänger der Rüstungskontrollpolitik des Kalten Krieges gibt, die die damaligen Erfolge nur halb verstanden haben, können diese auch mit Putemkin’schen Unsinn erfolgreich aufgeschreckt werden;

     
  • Zur zentralen These für die Begründung der russischen Power-Politik entwickelt sich die Schuldzuweisung an den Westen, insbesondere die U.S.A., sie hätten die russische Position in der Vergangenheit nicht genügend ernstgenommen. Wenn die russischen Spin-Doktoren diese These ins Spiel gebracht haben, kann man sie nur beglückwünschen; sie wird von westlichen Experten feuchtfröhlich übernommen.

    Tatsache bleibt, dass das “Auf den Busch klopfen” nur eine der vielen “Strategien der List” (siehe Harro von Senger) ist, die man unter Pfarrerstöchtern als bekannt voraussetzt. Ausserdem: Wenn kleine Kinder in der Trotzphase mit dem Fuss aufstampfen, ist das völlig normal.
     
  • Wer die Konfliktfelder ganz sachlich untersucht, wird sich nicht im Geringsten aufregen.

Deshalb zum Wochenendgruss für Gutes einen Trost: Weil ein lieber Zeitgenosse uns das “van Heyst”-Papier geschenkt hat, können wir für Montag ordentliche Kost versprechen.

{Wenn das Radio trötet, kommt man nicht zum Nachdenken}

 

Pershing-Putemkin: ächt

30. April 2007

Zwei Tage nach seinem Lagebericht über die Nation hat der russische Staatspräsident Vladimir Putin in der Diskussion um die Stationierung von Teilen des U.S.-Raketenabwehrsystems in Polen und der Tschechischen Republik kräfig nachgelegt. Während des Besuchs des tschechischen Premiers Vaclav Klaus meinte Präsident Putin:

Vielleicht wird nicht nur Vladimir Putin nicht mehr so recht wissen, wie das eigentlich vor fast 30 Jahren mit den Pershings war. Anfang 2005 haben wir uns noch einmal hingesetzt, um die NATO-Doppelbeschluss-Geschichte nachzuzeichnen; als damaliger Referent der “Arbeitsgruppe Sicherheitsfragen” (Verteidigungspolitik) der SPD-Bundestagsfraktion hatte man damit schon lange und reichlich zu tun.

Wer die rund 8-jährige “Pershing”-Geschichte nicht so recht miterlebt hat, dem mögen wir
unsere 6-seitige Kurzfassung (pdf) empfehlen. Wenn man sich nur annähernd in das damalige “Threat-Assessment” einzudenken und -fühlen vermag, könnte man noch nicht einmal im Traum auf die aberwitzige Idee kommen, dass die U.S.-Raketenabwehr-Planung im Vergleich zur “Pershing” die “absolut gleiche Bedrohung” darstellen könnte.

Niemand wird Präsident Putin von solchen “lächerlichen” (C. Rice) Behauptungen abbringen können. Wenn allerdings bei bundesdeutschen Politikern (Steinmeier und Beck, siehe die Wochenend-Berichte) dieser Unsinn in der Argumentations-Strategie als Mitnahme-Effekt in Kauf genommen wird, ist das nicht mehr so lustig.

Es gab Zeiten in dieser Republik, in denen die “grossen” Parteien den Konsens in der Aussenpolitk (mit Ausnahmen) zum Dogma erhoben. Im Kleinkrieg um die letzte Wählerstimme sind auch diese Ansätze wohl für immer vorbei.

{Sun Tsu sagt: “Ein echter Krieger bekennt sich ehrlich zu seinem Tun”}

 

Meinung: Putemkin

27. April 2007

Wahrscheinlich hat Aristoteles zuerst den politischen Wirkmechanismus erkannt: Wenn eine Regierung wegen groben Versagens innenpolitisch unter heftigem Druck steht, zaubert sie am besten einen äusseren Verursacher hervor, der als Sündenbock Ablenkung von der eigenen Unfähigkeit verspricht. Daraus kann man die Regel ableiten: Je heftiger jemand vor den Türen Anderer fegt, desto mehr hätte er eigentlich im eigenen Haus zu tun.

Als weitere Regel für Potemkin’sche Dörfer kann gelten: Je dreister die Unsachlichkeit von Mächtigen instrumentalisiert wird, umso grösser muss das Bedauern für die von den Untertanen zu tragenden Folgen ausfallen (dass diese mit ihrer politischen “Seele” nicht ganz unschuldig sind, zeigt die Umfrage). Umgekehrt: Wer Russland liebt, würde einen schonungslosen Lagebericht und eine daten-basierte Zukunftsanalyse fordern - und eine dementsprechende Politik.

Wer auf http://de.rian.ru stöbert, wird, bis auf www.kremlin.ru die Putin-Rede veröffentlicht wird -, einige Anhalte dafür finden, dass der abtretende Kreml-Chef wenige Lichtblicke für die Modernisierung Russlands hatte (100 Mrd. für den Strassenbau). Aber reicht das? Der SPIEGEL-Online-Bericht von Uwe Klussmann stellt das zu recht in Frage:
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,479725,00.html

Wegen des KSE-Moratoriums haben wir via TV Aussenminister Steinmeier in (tiefer) Sorge gesehen mit dem Nachsatz, er befürchte weitere Aufkündigungen von Rüstungskontroll-Verträgen durch die russische Regierung. Sorry, die Sorgen aus der Aera des Kalten Krieges teilt niemand, der ihn erlebt hat. Dem russischen Sprachgebrauch ist der Begriff vom “alten Denken” wohlvertraut (gelernt im Kalten Krieg; es gilt aber auch die Version, dass das Neue oft nur das vergessene Alte ist; unvergessen: Valentin Falin).

{Alt oder neu - vergessen? - the same procedure - Murmeltier-Tag!}

 

Russland-Daten: besteuern

28. Februar 2007

Richtig gute Papiere zu lesen, macht immer Spass. Gleich verfügbar ist das 4-Seiten-Papier des niederländischen Oberstleutnants Dr. Marcel de Haas: “Russia’s Upcoming Revised Military Doctrine”. Wer die russischen Stimmen der letzten Wochen verstehen will, muss das lesen:
http://www.pinr.com/report.php?ac=view_report&report_id=622&language_id=1

Leider Online noch nicht verfügbar sind die ersten Ergebnisse einer russischen Meinungsumfrage, die wahrscheinlich bei www.eu-russiacentre.org erscheinen wird; es ist ein Schreckensbild für jeden, der sich eine gute europäisch-russische Partnerschaft wünscht:

  • Nur 10 % sagen: “Russland ist ein Teil des Westens und sollte näher an Europa und die USA heranrücken; 75% sind für den “eigenen Entwicklungsweg”.
     
  • 45 % halten die Europäische Union für eine “potentielle Bedrohung” Russlands.
     
  • “Die westliche Demokratie ist für die meisten Russen als politisches System unattraktiv. Über 40 % der Befragten betrachten sie als unangemessen und sogar zerstörerisch für Russland.”
     
  • Abschliessend kommentiert Fraser Cameron, Leiter des EU-Russia Centre:
    “Diese Lösung von Europa seit dem Ende des Kommunismus muss Thema für die EU sein, und die Union sollte es als eine Priorität sehen, die Umkehrung dieses Trends zu unterstützen.”

Wir teilen Politik (und Menschen) in zwei (idealtypische) Kategorien auf:

  • Die Machtfetischisten keilen kräftig aus, um letztendlich allein unter der Sonne “strahlen”  zu wollen, und sei es nur, um im “Geschichtsbuch” zu stehen, jener absolut irren Verquickung von jenseitiger und diesseitiger “Überlebens”-Strategie;
     
  • Die kooperativen Typen teilen sich den “win/win”-Kuchen und trösten sich mit der “gleichen Augenhöhe”, selbst wenn die Körpergrösse das nicht so ganz hergibt.

Leider unterstützen alle (?) Weltkulturen den brausenden Beifall für die Sonnenkönige (und wenn die Schatten noch so lang sind).

{Man sollte die Machtgeilheit besteuern!}

 

Russlands Aufbruch: wirklich?

16. Februar 2007

Wahrscheinlich liegt es an unserer Schlafmützigkeit, dass unter unserer Rubrik “Russland” seit dem Jahr 2000 kein Eintrag (s.u.) zu finden ist. Seit der Rede des russischen Präsidenten Putin auf der 43. Sicherheitskonferenz in München scheint es so, als seien wir als letzte aufgewacht. Nun gilt es, schnell 1 + 1 zusammen zu zählen:

  • Lt. SPIEGEL-Online vom 13. 2. 2007 stuft Norwegen Russland wieder als militärische Bedrohung ein. Zitiert wird der Staatssekretär des Osloer Verteidigungsministeriums, Espen Barth Eide: “Allerdings ist unübersehbar, dass Russland als Großmacht wieder da ist und Einfluss sowie Respekt vor seinen Eigenarten fordert.
     
  • Ganz offen präsentiert Russland seine Rüstungs-Agenda für die Zeit von 2007 - 2015 mit einem Volumen von 189 Mrd. USD (23,6 Mrd. jährlich). 45 % des derzeitigen Rüstungsarsenals sollen erneuert werden (siehe “ISN Security Watch” vom 12 . 2. 07).
     
  • Verteidigungsminister Sergei Ivanov, der gerade zum Vize von Präsident Putin (und seinem wahrscheinlichen Nachfolger) aufgestiegen ist (und das Verteidigungsministerium verlässt), hat www.welt.de am 12. 2. 07 ein Interview gegeben, welches reichlich Analyse-Daten hergibt. Sergei Ivanov haben wir noch von vormaligen Münchner Sicherheitskonferenzen in Erinnerung, auf denen er erst gelernt und dann gut gelehrt hat. Die Schere zwischen Ambitionen und Ressourcen für Machtansprüche scheint bei ihm nicht so unendlich zu klaffen.
     
  • Am 6. 2. 07 meldet die Nachrichtenagentur AFP, dass ein Vertreter des russischen Aussenministeriums den U.S.A. Verhandlungen über ein Abkommen über Raketenabwehr anbieten. Am 15. 2. 07 meldet allerdings AFP, dass der russische Generalstabs-Chef Juri Balujewski wegen der US-Pläne für eine Raketenabwehr den Ausstieg aus dem INF-Vertrag empfehle. Spätestens hier klinkt der Verstand der Beteiligten aus: Wladimir Putin hatte in München zwar die INF-Vertrags-Folgen beklagt, aber keinerlei Zusammenhang zu den U.S.-Raketen-Abwehr-Plänen hergestellt. Wenn die inner-systematische Folgerichtigkeit der Argumentation auf dem Spiel steht, sollte man gewarnt sein.
     
  • Vielleicht erinnert sich irgendein Experte an die Tatsache, dass Putin’s Militärs von ihren Vorgängern ein Arsenal von “taktischen” Nuklearwaffen übernommen haben, über die der Mantel des Schweigens gehüllt wird (ganz grob 7.000). Welche Bedeutung hätten sie gegenüber den mickrigen 12 (zwölf) Raketen-Abwehr-Batterien, die die bösen Amis in Polen stationieren wollen gegenüber der deklarierten Iran-Bedrohung.

Es ist wieder das alte Lied: Auf der Mega-Ebene wird von Künstlern der Inszenierung eine Debatte aufgezaubert, die zwar für die medien-politische Vermarktung der strategisch ausgerichteten Journalisten taugt, aber auf Dauer nicht halten kann.

Das russische Brutto-Inlandsprodukt beträgt ca. 760 Mrd. USD und rangiert damit auf Position 14 weltweit. Im Jahr 2050 soll die russische Bevölkerung bei etwa 100 Mio. Menschen rangieren. Jeder Regierende wird im besten Falle bei strategischen Überlegungen bestimmte Grunddaten der weltpolitischen Einordnung nicht ausser Acht lassen dürfen, um seine realistische Einordnung nicht zu vergessen. Wenn da nicht die Macht-Ambitionen wären.

{Ist die Wirklichkeit wirklich ganz wirklich?}

 

Sicherheitskonzept Russlands: Wunschdenken?

7. Februar 2000

Ende Nov. 2000 hat das Bundesverteidigungsministerium (D) dem Verteidigungs-Ausschuss des Bundestages das nachfolgend wiedergegebene Papier zur Verfügung gestellt.

Das neue nationale Sicherheitskonzept Russlands

1 - Die Grundlagendokumente der Konzeption für Nationale Sicherheit

Drei Gründe machten aus russischer Sicht ein neues nationales Sicherheitskonzept zwingend notwendig:

  • die NATOErweiterung,
  • das Vorgehen der NATO im ehemaligen Jugoslawien,
  • der Krieg in Tschetschenien.

Dies erforderte nach überkommener Denkweise zunächst eine Revision der bestehenden sicherheits und militärpolitischen Grundlagendokumente.

Die Konzeption für Nationale Sicherheit (KNS), von Präsident Putin am 10. 1. 2000 in Kraft gesetzt, stellt das alles bestimmende Grundlagendokument dar. Die Spezifizierung und Konkretisierung der sicherheits und militärpolitischen Sichtweisen Russlands erfolgt in unterschiedlichen, die Hauptaspekte betreffenden Doktrinen der Teilkonzeptionen. Zusammen mit der KNS sollen letztere als integraler Bestandteil die Vorgaben für daraus  zwingend erforderliche Maßnahmen der Exekutive liefern, so beispielsweise die Militärdoktrin für die laufende Militärreform. Eine Neufassung der bereits bestehenden Militärdoktrin setzte Putin am 22. 4. 2000 in Kraft. Danach wurden noch eine überarbeitete Außenpolitische Konzeption und eine Doktrin für Informationssicherheit in Kraft gesetzt, weitere Doktrinen sollen folgen. Steuerungs und Koordinierungsorgan für die Ausarbeitung der sicherheits und militärpolitischen Grundlagendokumente ist der Arbeitsstab des.Sicherheitsrates unter seinem einflussreichen Sekretä, Sergej lwanow.

2 - Die Konzeption für Nationale Sicherheit

2.1 Sicherheitsbedrohungen gemäß KNS

Die neue Konzeption für Nationale Sicherheit hat anders als 1997 neben den ungelösten inneren Problemen die äußeren Gefahren für Russland stärker akzentuiert. Die "Bedrohung durch den internationalen Terrorismus" bezieht sich vorrangig auf den Tschetschenien-Krieg. Dessen Ziel sei es, Russland zu destabilisieren.

Äußerungen von militärischer Seite in Russland zufolge, entspreche zumindest dies auch den Absichten der USA. Den USA und ihren Verbündeten wird in der KNS vorgeworfen, eine Struktur internationaler Beziehungen zu schaffen, die auf der Dominanz der westlichen Länder beruhe. Schlüsselprobleme sollen von diesen Ländern unter Einsatz militärischer Gewalt und unter Umgehung grundlegender Normen des Völkerrechts gelöst werden. Weiter heißt es, dass bestimmte Staaten und internationale Bündnisse beabsichtigten, die Rolle der VN und der OSZE bei internationalen Konfliktlösungen zu schmälern. Die entsprechende Passage gipfelt in dem Vorwurf an die NATO, dass sie ihr Handeln, z. B. im Kosovo, in den Rang einer strategischen Doktrin erhebt.

2.2 Erweiterter Auftrag der Streitkräfte

Als Antwort auf die geschilderten Bedrohungen ergibt sich der nunmehr erweiterte Auftrag an die Streitkräfte. Der KNS zufolge müssen die russischen Streitkräfte in Friedensstärke in der Lage sein, den zuverlässigen Schutz des Landes gegen Luftangriffe sicherzustellen und zusammen mit anderen Truppen, militärischen Formationen und Organen1 die Abwehr einer Aggression in einem lokalen Krieg (bewaffneten Konflikt) sowie die strategische Entfaltung (bedeutet Mobilmachung und Aufmarsch) zur Erfüllung der Aufgaben in einem großmaßstäbigen Krieg/"Weltkrieg" (sowie die Entfaltung ... in einem regionalen Krieg“ war die Formulierung der KNS vom 17. 12. 1997) zu gewährleisten2. Gleichzeitig müssen die Streitkräfte die Wahrnehmung friedenschaffender Aktivitäten durch die Russische Föderation (RUS) sicherstellen".

Russland geht dabei von folgenden Prinzipien für den Einsatz militärischer Gewalt aus:

  • „Einsatz aller Russland zur Verfügung stehenden Kräfte und Mittel, einschließlich Nuklearwaffen, wenn es erforderlich ist, eine bewaffnete Aggression abzuwenden („wenn im Ergebnis der Entfesselung einer bewaffneten Aggression eine Gefahr für die Existenz der Russischen Föderation als unabhängiger, souveräner Staat entsteht“ war die Formulierung der KNS von 1997) und wenn alle anderen Maßnahmen zur Beilegung der Krisensituation ausgeschöpft sind oder sich als unwirksam erwiesen haben“;
     
  • „Einsatz militärischer Gewalt innerhalb Russlands nur in strikter Übereinstimmung mit der Verfassung und den föderalen Gesetzen und nur in Fällen, wenn eine Gefahr für das Leben der Bürger bzw. für die territoriale Integrität des Landes besteht oder wenn eine gewaltsame Veränderung der verfassungsmäßigen Ordnung droht" (partielle Veränderung gegenüber KNS von 1997).

Gegenüber der KNS von 1997 wird in der neuen KNS erstmalig die Herstellung eines stabilen miltärstrategischen Gleichgewichts der Kräfte auf jeweils regionaler Ebene gefordert. In der alten Fassung der KNS wurde noch erklärt, dass Russland keine Parität in Bewaffnung und Umfang der Streitkräfte mit den führenden Staaten der Welt anstrebe.

3 - Militärdoktrin

Die Militärdoktrin (MD) setzt die Vorgaben der KNS detaillierter auf militärpolitischer und militärstrategischer Ebene um. In ihrer Einleitung wird sie als Darstellung offizieller Sichtweisen bezüglich militärpolitischer, militärstrategischer und militärwirtschaftlicher Grundlagen zur Sicherherstellung der militärischen Sicherheit Russlands bezeichnet. An anderer Stelle wird "Gewährleistung militärischer Sicherheit als wichtigste Aufgabe staatlichen Handelns" genannt. Unter anderem wird in derzeitiger militärpolitischer Lagewahrnehmung die Ausdehnung lokaler Kriege und bewaffneter Konflikte sowie ein Senken der Gefahr eines großmaßstäbigen Krieges/"Weltkrieges" konstatiert, letzterer jedoch nicht mehr wie in der JelzinÄra für unwahrscheinlich gehalten oder völlig ausgeschlossen.

Die MD soll für eine Übergangsperiode Gültigkeit haben, innerhalb derer die Errichtung demokratischer Staatlichkeit und einer vielschichtigen Wirtschaft, die Restrukturierung der Militärorganisation des Landes sowie eine dynamische Transformation der internationalen Beziehungen erfolgen soll. Nach der sehr optimistischen Auffassung des Generalstabes der russischen Streitkräfte könnte diese Übergangsperiode zehn oder zwanzig Jahre dauern.

3.1 Sicherheitsbedrohungen gemäß MD

Konkreter als in der KNS nennt die MD eine ganze Reihe innerer und äußerer Bedrohungen der nationalen Sicherheit, die, u.a. ohne die Verursacher beim Namen zu nennen, bekannte Vorwürfe gegenüber den USA und der NATO aufgreifen und Bezüge zum aktuellen Geschehen in Tschetschenien und Zentralasien unschwer erkennen lassen. Zu den Bedrohungsfaktoren gehören:

  • territoriale Ansprüche an Russland,
  • Einmischung in innere Angelegenheiten Russlands,
  • Bemühungen, Russlands Interessen bei der Lösung von internationalen Sicherheitsproblemen zu beeinträchtigen oder zu ignorieren,
  • Störung des Kräftegleichgewichts durch Truppenkonzentrationen in Nähe der Grenzen Russlands und seiner Verbündeten,
  • Erweiterung der Militärblöcke und -bündnisse zu Lasten der militärischen Sicherheit Russlands und seiner Verbündeten,
  • Verlegung fremder Truppen in angrenzende oder mit Russland befreundete Staaten unter Verletzung der VN-Charta,
  • Aufstellung,.Ausrüstung und Ausbildung bewaffneter Formationen auf dem Gebiet anderer Staaten, um sie von dort aus gegen Russland und seine Verbündete in Einsatz zu bringen,
  • Übergriffe auf militärische Einrichtungen Russlands im Ausland sowie auf Einrichtungen an den Grenzen Russlands und seiner Verbündeten,
  • Handlungen, die die globale und regionale Stabilität stören, z.B. Aktionen gegen die funktionierenden strategischen Nuklearkräfte Russlands, gegen die Verhinderung eines Raketenangriffes, gegen die Raketenabwehr und gegen die Kontrolle des Weltraumes.

3.2 Einsatz von Nuklearwaffen

Als mögliche Handlungsoption gegen die genannten Bedrohungen sieht Russland den Einsatz von Nuklearwaffen vor. Im Unterschied zur KNS wird der Einsatz von Nuklearwaffen in der MD breiter dargelegt. Ihr Einsatz könne erfolgen, wenn der Gegner Nuklear oder Massenvernichtungswaffen einsetze oder als Antwort auf eine großangelegte konventionelle Aggression. Einschränkend wird jedoch ausgeführt, dass Nuklearwaffen nicht gegen Teilnehmerstaaten des Vertrages  über die Nichtverbreitung von Nuklearwaffen und gegen Staaten, die selbst über keine Nuklearwaffen verfügen, eingesetzt werden. Doch auch diese Aussage erhält abermals eine Einschränkung, nämlich dass dies nicht für den Fall gelte, falls ein Nicht-Nuklearstaat gemeinsam oder verbündet mit einem Nuklearstaat Russland oder seine Verbündeten angreife.

Nuklearwaffen werden in einem weiter gefassten Sinne nicht nur als Abschreckungsfaktor oder als Instrument der Kriegsführung gesehen, sondern auch als Faktor zur Gewährleistung der militärischen Sicherheit Russlands und seiner Verbündeten und zur Stützung der internationalen Stabilität und des Friedens.

4 - Das Konzept der Außenpolitik (AK)

Das Konzept der Außenpolitik ist ein Teil des Sicherheitskonzepts. Das außenpolitische Konzept (AK) dient in erster Linie der aktiven und, wo nötig, harten Verteidigung russischer Interessen auf internationaler Ebene. Russland wird in diesem Sinne in der AK als „Großmacht“ tituliert. Russlands wichtigste Aufgaben in seiner Außenpolitik sind :

  • Intensivierung der Beziehungen zu internationalen Institutionen wie G8, IWF und Weltbank,
  • Stärkung der Rolle der VN,
  • Stärkung internationaler Sicherheit durch Einhaltung der bestehenden und Abschluss neuer Rüstungskontrollverträge,
  • Schutz der Menschenrechte, worunter in erster Linie die Rechte und Interessen russischer Landsleute im Ausland verstanden werden,
  • vorrangige Beziehungen zu den GUSStaaten, in Europa vor allem mit der EU, mit den USA und mit den führenden asiatischen Ländern China, Indien und Japan.

5 - Doktrin für Informationssicherheit (DI)

Das Thema „Informationssicherheit“ besitzt in Russland einen hohen Stellenwert und wird seit einigen Jahren in Fachkreisen intensiv erörtert. Im gegenwärtigen Tschetschenien-Konflikt ist die Führung des "Informationskrieges" ein wichtiges innenpolitisches Thema. Politische und militärische Vertreter reklamieren für sich, diesen „Krieg“ im Unterschied zur ersten Tschetschenien-Kampagne für Russland gewonnen zu haben. Die Bedeutung von Informationssicherheit unterstreicht die Existenz einer gesonderten Verwaltung für Informationssicherheit (insgesamt gibt es 7 Verwaltungen) im Arbeitsstab des Sicherheitsrates, unter deren Federführung die vorliegende Doktrin auch ausgearbeitet wurde. In der KNS ist der Informationssicherheit eigens ein Abschnitt gewidmet.

Die DI gibt vor, in Russland im Informationsbereich die Interessen des Individuums, der Gesellschaft und des Staates schützen zu wollen. Tatsächlich schenkt sie, in der Tradition kollektivistischen Denkens stehend, die größte Aufmerksamkeit den Interessen des Staates auf diesem Gebiet und betont die äußeren Bedrohungen für die Informationssicherheit:

  • Dominanz bestimmter Staaten im Informationsbereich,
  • Außenpolitische Faktoren wirtschaftlicher, militärischer und nachrichtendienstlicher Art,
  • Herausdrängen Russlands vom einheimischen und ausländischen Informationsmarkt durch eine Reihe von Staaten.

6 - Bewertung

Die KNS und ihre integralen Folgedokumente, die das Sicherheitskonzept Russlands darstellen, folgen der sowjetischen Tradition, Politik gleichsam „wissenschaftlich“ zu untermauern und zu reglementieren. Insbesondere die Militärdoktrin dient in diesem Sinne der Rechtfertigung der im Westen begrifflich umstrittenen „Militärwissenschaften“. Als Vorgaben für konkrete Maßnahmen  wie die Militärreform  eignen sich diese konzeptionellen Dokumente nur bedingt, da sie entweder nur einen Zustand beschreiben oder in ihren Folgerungen zu allgemein bleiben. Vielfach ersetzt Wunschdenken realistische Planungsarbeit.

Das russische Sicherheitskonzept, vor allem die besondere Erwähnung einer erhöhten Wahrscheinlichkeit "großmaßstäbiger Kriege", erweckt den Eindruck, als hätten sich in den letzten Jahren innere und vor allem äußere Bedrohungen für das Land verstärkt. Dies resultiert zum einen aus der innerhalb der russischen Gesellschaft weitgehend unumstrittenen Perzeption der NATOErweiterung und des NATO-Einsatzes im ehemaligen Jugoslawien. Damit soll aber zum andern die Begründung für erhöhte Mittelzuweisungen an die "Machtorgane" geliefert werden, mit dem Ziel, den allseits eingeforderten Großmachtstatus festigen zu können.

Bezüglich der Rolle der Nuklearwaffen ergeben sich aus dem Sicherheitskonzept im wesentlichen keine neuen Aspekte. Durch eine Absenkung der nuklearen Schwelle soll die zunehmende Schwäche im konventionellen Bereich kompensiert werden.

 

Anmerkung 1

 Im „Föderalen Gesetz über die Verteidigung“ von 1996 wird unter Verteidigung das System der politischen, wirtschaftlichen, militärischen, sozialen, rechtlichen und sonstigen Maßnahmen zur Vorbereitung auf den bewaffneten Schutz sowie der eigentliche bewaffnete Schutz Russlands verstanden. Zum Zwecke der Verteidigung werden die Streitkräfte Russlands unterhalten. Zur Verteidigung werden die Grenztruppen, die Truppen des Innenministeriums, die Eisenbahntruppen. die Truppen des Föderalen Amtes für das Fernmelde, KommunIkations und Informationswesen (FAPSI) und die Truppen der Zivilverteidigung (im weiteren als „andere Truppen“ bezeichnet) herangezogen. Zur Erfüllung einzelner Aufgaben auf dem Gebiet der Verteidigung werden die militärischen Wartungs und Instandsetzungsformationen sowie die militärischen Straßenbauformationen bei den Organen der Exekutive (im weiteren als „militärische Formationen“ bezeichnet), der Auslandsaufklärungsdienst SVR. die Organe des Föderalen Sicherheitsdienstes FSB, die Organe des Föderalen Grenzdienstes, die föderalen Organe von FAPSI, die föderalen Organe des Staatsschutzes, das die Mobilmachung vorbereitende und sicherstellende Föderale Organ (im weiteren als „Organe“ bezeichnet) sowie die für die Kriegszeit aufzustellenden Spezialformationen herangezogen. Die Streitkräfte, die „anderen Truppen“, die „militärischen Formationen“ und die „Organe“ nehmen nach Maßgabe des Einsatzplanes der Streitkräfte Aufgaben auf dem Gebiet der Verteidigung wahr.

 

Anmerkung 2

Militärdoktrin: Bei den Ausmaßen von Kriegshandlungen werden bewaffnete Konflikte, lokale Kriege, regionale Kriege und großmaßstäbige Kriege („Weltkrieg“) unterschieden. Dabei wird der Einsatz atomarer Munition bereits in/ab dem regionalen Krieg als möglich erachtet. Nach russischer Perzeption wird ein konventioneller, großmaßstäbiger Krieg mit hoher Wahrscheinlichkeit in einen Nuklearkrieg mit katastrophalen Folgen für die Zivilisation münden.

 

15. Mai 2001: Recht verspätet, aber immer noch lesenswert, hinsichtlich Finanzen austauschbar mit Bericht über Bundeswehr-Reform:

Anlage 2 (ebenfalls vom BMVg dem Verteidigungs-Ausschuss im Nov. 2000 zugestellt)

Die Reform der russischen Streitkräfte

1  Ausgangslage

Nach dem Regierungsantritt Putins wurde der Frage nach der durch den Tschetschenienkrieg abermals ins Stocken geratenen Streitkräftereform verstärkt Beachtung geschenkt. Erste Auswertungen des Streitkräfteeinsatzes in Tschetschenien ergaben ein beklagenswertes Bild der Streitkräfte. Die bisher aufgestellten Verbände der ständigen Bereitschaft waren nur bedingt einsatzbereit. Lediglich die zahlenmäßig geringen Luftlande- und Marineinfanterieverbände erfüllten die Qualitätsanforderungen an Verbände der ständigen Bereitschaft. Im Gegensatz dazu stehen die programmatischen Aussagen Putins, Russland in den kommenden zwei Jahrzehnten in ein hochentwickeltes, blühendes und großes Land zu verwandeln und dadurch die Gefahr zu bannen, dass das Land in die zweite oder dritte Reihe zurücktritt.

Dies erfordert nach seinen Aussagen auch die Schaffung „zahlenmäßig kompakter, moderner sowie effektiver Streit- und Sicherheitskräfte bis 2015 unter Berücksichtigung gesamtstaatlicher Aufgaben und wirtschaftlicher Rahmenbedingungen“. Die Aufgaben der Streitkräfte werden in dem in diesem Jahr in kraft gesetzten überarbeiteten sicherheits- und militärpolitischen Grundsatzdokument, der Konzeption für Nationale Sicherheit und Militärdoktrin, vorgegeben. Diese gilt es nun an die Ressourcen des Staates anzupassen. Dabei wird bereits jetzt deutlich, dass die Re-Organisation der Streitkräfte zumindest in der Anfangsperiode mehr Geldaufwendungen, vor allem im investiven Bereich erfordert. Demzufolge werden einschneidende Kürzungen bei der Truppenstärke unumgänglich.

2  Der Verteidigungshaushalt - Determinante der Streitkräftereform

Im Jahre 2000 hat RUS 140,8 Mrd. Rbl. (rd. 4,4 Mrd. US-$) für Verteidigungszwecke veranschlagt - 21 Mrd. Rbl. (rund 800 Mio. US-$) mehr als ursprünglich geplant. Der Anteil am (geschätzten) BIP beträgt 2,63% und am Staatsbudget 17,53%. Gegenüber 1999 wäre dies bei tatsächlicher Erfüllung eine reale Erhöhung um 10-15%.

Damit wird zumindest der Trend gestoppt, die \/erteidigungsausgaben von Jahr zu Jahr zu senken und hinter dem Budget zurückbleiben zu lassen. Allerdings hat die Militärführung auch diesen Verteidigungshaushalt als zu niedrig kritisiert und mindestens 262 Mrd. Rbl. (8,2 Mrd. US-$) für notwendig erachtet. Im Haushaltsentwurf der Regierung für das Jahr 2001 sollen die Verteidigungsausgaben auf 206,3 Mrd. Rbl. (6,88 Mrd. US-$) oder 2,65% des BIP steigen. Doch Mitte September forderte der Verteidigungsausschuss der Duma bereits eine weitere Erhöhung um 52 Mrd. Rbl., um die bereits zu Zeiten Jeltsins geforderten 3,5 % des (geschätzten) BIP für Verteidigungsausgaben endlich zu verwirklichen, zumal der Wehretat durch die Stationierungskosten russischer Kontingente im Rahmen von SFOR und KFOR sowie insbesondere durch den Einsatz der Föderalen Streitkräfte in Tschetschenien zusätzlich belastet wird.

Mit zusätzlichen Einnahmen des Finanzministeriums, die für 2001 erwartet werden, sollen auf Wunsch der Staatsduma die Gehälter der Soldaten erhöht werden und damit das Besoldungsniveau vergleichbarer Staatsdiener aus dem zivilen Bereich angestrebt werden. Bereits jetzt ist klar, dass sich die geforderte Gehaltserhöhung um 130% nicht wird realisieren lassen. Ein weiterer Posten der zusätzlichen Ein-nahmen soll investiven Aufgaben der Streitkräfte zugeführt werden, wodurch man das Missverhältnis von Betriebs- zu Investitionskosten, derzeit 70% zu 30%, beseitigen will. Bis zum Jahre 2006 plant man den Anteil der Investitionskosten und der Betriebskosten zu nivellieren.

Die lnvestitionsmittel sollen künftig sowohl zur Modernisierung konventionieller Waffen als auch zur Abrüstung bzw. Regeneration des nuklearstrategischen Potenzials aufgewendet werden. Erschwerend wirkt dabei, dass die von Putin ,“zur Lokomotive für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung“ erklärte Rüstungsindustrie als Modernisierungsbasis der Streitkräfte und einer der größten staatlichen Wirtschaftsbereiche mit enormen sozialem Unruhepotential ebenfalls dringender Reformen in Umfang und Struktur und damit auch finanzieller Sonderzuwendungen bedarf.

3  Planungsgrößen der Streitkräftereform

Die als Kern der Militärreform 1997 beschlossene Streitkräftereform sollte ursprünglich in zwei Phasen (1997 - 2000, 2001 - 2005) bis zum Jahr 2005 vollzogen werden:

Die bereits abgeschlossene Phase 1 umfasste eine strukturelle Umgliederung von fünf auf vier Teilstreitkräfte, die Reduzierung der Streitkräfte auf eine FriedensSollstärke von 1,2 Mio. Soldaten und Personalreduzierungen der bewaffneten Kräfte anderer Machtministerien um bis zu 30 %. Teilweise verbargen sich aber hinter diesen Reduzierungsumfängen nur Änderungen im Unterstellungsverhältnis. So wurden die für die Bewachung der Gefängnisse zuständigen Formationen der Inneren Truppen des lnnenministeriums dem Justizministerium unterstellt.

Nach den bisherigen Planungen zur Streitkräftereform stand in der Phase II nach 2000/2001 der Obergang von einer viergliedrigen zu einer drei-gliedrigen Teilstreitkräftestruktur entsprechend der drei Einsatzbereiche Land, See und Luft/Wetraum auf dem Programm. Bis zum Jahr 2005 sollte der personelle Gesamtumfang aller „Truppen und militärischen Formationen“ (siehe Anmerkung 1 am Schluss) Russlands auf 1,5 Mio. Mann mit „Soldaten-Status“ reduziert und die von Sergejew angestrebten Führungs- und Organisationsstrukturen im Rahmen der Gesamtverteidigungsplanungen eingenommen werden. Mittelfristig sollte das Niveau der Führer- und Truppenausbildung gesteigert, die Führungsinformations systeme der Streitkräfte verbessert und ab 2005 die Serienlieferungen neuer Waffen, Fahrzeuge und Geräte eingeleitet werden.

Im Juli wurde im Vorfeld der Haushaltsberatungen der Regierung in der Streitkräfteführung ein Richtungsstreit über die weitere Streitkräftereform bis zum Jahr 2016 - insbesondere über den Stellenwert der strategischen Nuklearwaffen - teilweise öffentlich ausgetragen. Nach Forderungen von Generalstabschef Armeegeneral Kwaschnin sollten bis 2003 das nuklearstrategische Potenzial drastisch verringert und finanzielle Ressourcen zugunsten der Modernisierung der konventionellen Streitkräfte umgeschichtet werden. Dies sollte dem Ziel dienen, bis zum Jahr 2006 mit reformierten konventionellen Kräften ein bis zwei bewaffnete Konflikte in der Größenordnung des Tschetschenienkonflikts bestreiten und ab dem Jahr 2016 eine nicht-nukleare Abschreckung auf regionaler Ebene gewährleisten zu können.

In der Sitzung des Sicherheitsrates am 11.08.2000 hat Präsident Putin jedoch Kompromisslösungen gegenüber den kontroversen Reformvorstellungen von Sergejew und Kwaschnin diskutiert und eine abschließende Entscheidung bis zur Vorlage/Beratung neu erarbeiteter Reformpläne mit reduziertem Kostenaufwand auf den 27. September 2000 verschoben. Bereits im Vorfeld der Sicherheitsratssitzung im September wurde deutlich, dass offenbar wegen anhaltender Divergenzen zwischen den Teilstreitkräften und den anderen Machtministerien eine abschließende Entscheidung über die Reorganisationsmaßnahrnen abermals zurückgestellt und nunmehr auf eine Sicherheitsratssitzung in der zweiten Novemberhälfte 2000 vertagt werden musste.

Für eine Fortsetzung der begonnenen Streitkräftereform sind in diesem Jahr richtungsweisende Entscheidungen von Präsident Putin und die Verabschiedung eines abgestimmten Rüstungsprogramms erforderlich.

Bis jetzt bekannt gewordene Planungen sehen auch Änderungen in den Organisationsstrukturen von Verteidigungsministerium und Generalstab vor. Das Verteidigungsministerium mit einem zivilen Minister soll rein administrative Aufgaben wahrnehmen, der Generalstab überwiegend operative Aufgaben.

Es ist nunmehr geplant, die Friedenssollstärke der Streitkräfte von 1,2 Mio. Soldaten um über 350.000 auf bis zu 820.000 Soldaten zu verringern (daneben gibt es noch etwa 600.000, nach künftiger Verringerung etwa 480.000 Zivilangestellte). Dabei sollen die Sollstärken (!) der Landstreitkräfte (Ist-Stärke einschl. LL-Truppe und Anteil Zentralmilitärischer Bereich derzeit etwa 400.000) um 180.000, der Luftstreitkräfte (Ist-Stärke etwa 165.000) um ungefähr 40.000, der Seestreitkräfte (Ist-Stärke etwa 136.000) um über 50.000 sowie die Sollstärken des Zentralmilitärischen Bereichs (Logistik, Quartierwesen, Lehranstalten usw., Ist-Stärke unbekannt) und der Strategischen Raketentruppen (Ist-Stärke etwa 170.000) um die restlichen 80.000 verringert werden. Proportional zur Verringerung der Streitkräfte soll die Zahl der in den Streitkräften dienenden Generale von derzeit ca. 1200 auf 0,1 % der geplanten Streitkräftestärke reduziert werden.

Eine Gegenüberstellung der offziellen Angaben zu den Personalreduzierungen mit eigenen Berechnungen zeigt, dass sich das Reduzierungsvolumen der Streitkräfte (Ist-Stärke ungefähr 950.000 Soldaten) zu etwa 70 Prozent auf unbesetzte Planstellen auswirken wird. Real dürften bei den Streitkräften bis 2003/2004 etwa 100.000 bis 110.000 Wehrpflichtige und Vertragssoldaten (Zeit- und Berufssoldaten) zu entlassen sein oder weniger eingezogen werden. Äußerungen aus dem Generalstab vom Oktober 2000 belegen, dass die Frage des allmählichen Überganges von einer Armee mit gemischter Ergänzung zu Streitkräften mit Ergänzung durch Berufs- und Zeitsoldaten auch weiterhin in Abhängigkeit von der wirtschaftlichen Prosperität aktuell bleibt.

Am Ausbau der „Kräfte der ständigen Bereitschaft“ soll auch in Zukunft festgehalten werden. Die Anzahl ihrer Großverbände innerhalb der Landstreitkräfte soll um ein Drittel erhöht werden, so dass man dann von mindestens 12 zu 80% personell und 100% materiell aufgefüllten Divisionen/Brigaden ausgehen kann. ihre Stationierungsorte sollen in den Militärbezirken Moskau, Nordkaukasus und Sibirien liegen. Widersprüchlich hierzu erscheinen jedoch besonders vor dem Hintergrund der Erfahrungen des jetzigen Tschetschenienkrieges Planungen über Reduzierungen der Luftlandetruppen von bis zu 12.000 Soldaten, die dann nur noch 28.000 Mann umfassen sollen. Selbst unter Berücksichtigung der derzeitigen offiziell genannten Friedens-Ist-Stärke von 34.000 Mann wäre dies noch ein deutlicher „Aderlass“.

Der Streit zwischen Verteidigungsministerium und Generalstab hinsichtlich des künftigen Status der Strategischen Raketentruppen scheint nun entschieden zu sein. Nach Aussage des Sicherheitsrates vom 2. November 2000 bleiben die Strategischen Raketentruppen selbständige Teilstreitkraft bis zum Jahre 2006 unter gleichzeitiger Reduzierung im Zuge der START-II-Abrüstung. Im Gespräch ist eine Verringerung von 19 auf 12 StratRak-Divisionen. Die ABM-Kräfte könnten bereits in eineinhalb Jahren in die Luftstreitkräfte eingegliedert werden. 2006 würde dann über die Strategischen Raketentruppen neu entschieden.

4 Bewertung und Ausblick

Den bisher bekannten Planungen der Streitkräftereform liegt die Erkenntnis zugrunde, dass sich Russland nicht länger Streitkräfte in der Friedenssollstärke von 1,2 Mio. Soldaten leisten kann. Die ökonomische Lage und nicht, wie die Konzeption für Nationale Sicherheit vorgibt, der Typus zukünftiger Kriege und die Bedrohungslage bestimmen somit Umfang und Struktur der Streitkräfte und der anderen Machtorgane. Dringend erforderliche Entscheidungen, die äußerst beschränkten Finanzmittel zu bündeln und damit Schwerpunkte zu setzen, blieben bisher aus. Redundante Strukturen hatten weiterhin Bestand und Reduzierungen wurden rein mechanisch vorgenommen und führten nicht zu Qualitätssteigerungen der verbliebenen Truppen.

Derzeit ist eine Trendwende in dieser Entwicklung nicht erkennbar, da die wirtschaftlichen Planungsziffern zu optimistisch und die Zuwächse des Verteidigungshaushaltes angesichts des laufenden Tschetschenienkrieges zu gering erscheinen. Darüber hinaus sind die zunehmenden Kosten für die Ausserdienststellung der Interkontinentalraketen, die den Plafond der Abrüstungsverpflichtungen aus START- II noch wesentlich überschreitet sowie der zusätzlich erforderlichen Finanzmittel für die soziale Absicherung der Personalreduzierungen in den Finanzplanungen noch nicht berücksichtigt. Die Hauptlast der Militärreform werden auch weiterhin die Streitkräfte zu tragen haben, während die anderen bewaffneten Formationen, deren Personalstärke zumeist nur Eingeweihten bekannt ist, vorrangig ihren Besitzstand wahren wollen. Durch zahlreiche Äußerungen von Putin selbst sowie aus seinem Umfeld zum zukünftigen Aussehen der Streitkräfte, aber auch durch das wiederholte Verschieben der Beschlüsse zur Streitkräftereform Putin besondere Aufmerksamkeit bei Analytikern des Militärreformprozesses bis hin zu zusätzlichen Erwartungen der eigenen Militärführung in Russland geweckt, an deren tatsächlicher Implementierung er sich in Zukunft messen lassen muss.

Anmerkung 1)

Aufstellung „Operativ-Strategischer  Kommandos“ im Bereich Konventioneller Kräfte für eine Einsatzführung in sechs strategischen Richtungen: Im Rahmen der nuklearen Triade Aufstellung eines „Oberkommandos Strategische Abschreckungskräfte“ außerhalb des Generalstabes, das neben den landgestützten Strategischen Raketentruppen auch die strategischen Unterseeboote der Seestreitkräfte und die strategischen Langstreckenbomber der Luftstreitkräfte führen sollte.

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